Kontrollillusion

Wir haben ja keine Ahnung. Das fällt im Alltag nicht so auf, aber bei schwierigen Entscheidungen spüren wir es wieder: Wir haben keine Ahnung, welche Handlungsalternative zu welchen Effekten führt. Wir haben insgesamt keine Ahnung, was zu was führt. Und trotzdem halten wir an dem Konzept fest, Ereignisse in gut und schlecht zu sortieren. Wir glauben, dass es gut wäre, die Beförderung oder die Stellenverlängerung zu bekommen oder die Dissertation abgegeben zu haben. Und wir glauben, dass es schlecht wäre, gekündigt zu werden, nicht zu wissen, wo in drei Monaten das Geld her kommen soll oder zum wiederholten Male unsere Dissertation überarbeiten zu müssen, obwohl wir glaubten, jetzt endlich mit unserer Dissertation fertig zu sein. Aber woher nehmen wir diese Gewissheit? Wer sagt, dass wir nicht eine viel bessere Stelle finden werden, wobei wir uns ohne den Anlass unseres Vertragsendes nie von selbst beworben hätten? Wer sagt, dass nicht, gerade weil wir noch etwas mehr Zeit mit der Dissertation verbringen, nochmals auf diese eine Konferenz fahren, dann dort jemanden kennenlernen, mit dem sich spannende Möglichkeiten der Zusammenarbeit auftun? Diese „Zufälle des Lebens“ kann niemand vorher sehen. Also warum sind wir dann immer so überzeugt davon, dass ein bestimmtes Ereignis gut oder schlecht für uns wäre?

Das liegt daran: Wir messen die Ereignisse nicht an der Realität der Folgen dieses Ereignisses (denn dann könnten wir ohnehin erst am Ende unseres Lebens entscheiden – freilich ohne dabei zu wissen, was die Alternative zu diesem Leben gewesen wäre). Wir messen die Ereignisse an unseren eigenen Plänen und Zielen: Wenn ich mir etwas Bestimmtes in den Kopf gesetzt habe, dann empfinde ich es als „gut“, wenn dieser Zustand dann endlich eintritt. Das bedeutet nicht, dass dieser Zustand dann tatsächlich, an sich, irgendwie besser wäre als der Zustand zuvor oder ein Zustand, den wir erreicht hätten, wenn wir einen anderen Pfad eingeschlagen hätten. Das bedeutet nur, dass wir das Erreichen von Zielen mögen. Völlig egal, welchen Effekt diese Zielerreichung wirklich hat – davon haben wir eigentlich keine Ahnung. Können gar keine Ahnung haben, da wir die Zukunft nicht vorhersehen können. Und obendrauf kommt noch dazu, dass wir schon beim Setzen des Ziels von so vielen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und situativen Bedingungen beeinflusst wurden, dass keiner weiß, ob das Ziel selbst überhaupt wirklich zu uns passt. Ob der Zielzustand an sich, ohne überhaupt noch weitere Folgen zu beachten, uns wirklich gut tut.

Was heißt das für unsere Lebenspraxis? Folge „deinem Weg“ und genieße die Aussicht währenddessen – ganz egal, ob du dich gerade an einem vermeintlich unattraktivem Ort aufhälst, an dem du gar nicht sein möchtest. Du weißt nicht, ob nicht gerade dieser Moment, in dem du das Gefühl hast, es ist alles schlecht, die Basis bildet für ein Schicksal, das du hinterher als total positiv einschätzen wirst. Mach dir klar, dass du dein Glück bisher an das Erreichen von Ereignissen oder Zuständen knüpfst – dabei hast du keine Ahnung, welche Ereignisse oder Zustände in der Realität welche Wirkungen auf dich haben werden und welche Verkettung von Ereignissen folgen wird. Es sind nur deine Ziele, die die Welt in „günstig“ und „ungünstig“ einteilen. Darum ist Glück kein Zustand, den man erreichen kann. Glück ist eine Art des Sehens.

Wie wir das Beste verpassen, weil unsere eigenen Vorstellungen uns die Sicht versperren

„Du sollst andere Menschen nicht nach deinen Vorstellungen beurteilen.“ So oder so ähnlich haben das viele Leute schon gelesen, gehört oder sind sogar schon selbst zu dieser Erkenntnis gelangt. Diese Aussage basiert auf der Idee, dass ein anderer Mensch ein unendlich reichhaltiges, komplexes und vielschichtiges Wesen ist, das wir niemals ganz erfassen können. Wenn wir uns ein Bild von ihm machen, dann fangen wir an, diesen Menschen in eine Schublade zu packen: „Der Hans, der ist so und so.“ Wir glauben, ihn zu kennen und beschäftigen uns dann nicht mehr weiter mit ihm. Aber wie jeder weiß: Schubladendenken ist böse! Das haben wir schon gelernt. Steht ja auch schon in den 10 Geboten („Du sollst dir kein Bild…“). Das Konzept ist uns im Prinzip also klar – wie leicht oder schwer das im Einzelnen in der Praxis für uns umsetzbar ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Wir sind ja nur Menschen. Soweit nichts neues. Aber hast du diesen Gedanken auch schon auf deine täglichen Aufgaben angewandt? Ist dir klar, dass hier das gleiche Prinzip gilt? Dass auch hier deine Vorstellungen, wie die Aufgabe ist oder aus deiner Sicht zu sein hat, deine Erfahrungen, die du mit dieser Aufgabe machen kannst, einschränken? Möglicherweise sogar so weit, dass du das Potenzial zur Freude, das in dieser Aufgabe liegt, gar nicht mehr sehen kannst?

Nehmen wir als Beispiel die Aufgabe, einen bestimmten wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Möglicherweise hast du dir diesen sogar selbst ausgesucht, hast recherchiert und glaubst, dass es für die Arbeit, an der du gerade schreibst, notwendig ist, diesen Artikel zu lesen. Du glaubst, dass dieser Artikel langweilig und dröge sein wird. Dass sich das Lesen ewig in die Länge ziehen wird und du ihn nicht so schnell bearbeiten kannst, wie du gerne würdest. Was denkst du, welche Erfahrung du mit diesem Artikel nun tatsächlich machen wirst? Natürlich wird es eine gefühle Ewigkeit dauern, ihn zu lesen, es wird sich wie Kaugummi in die Länge ziehen und mühsam sein. Aber ist dir die dezente Ironie aufgefallen, die die Autoren in ihrem nüchtern-sachlichen Stil versteckt haben? Hast du den kleinen Seitenhieb auf die konkurrierende Hypothese anderer Kollegen bemerkt? Und wie stehst du selbst dazu? Hast du bemerkt, wie du selbst schon ein kleines bisschen besser geworden bist, die Inhalte solcher Artikel zu verstehen? Hat es dich mit Freude erfüllt, dass du einige Bereiche schon schnell lesen konntest, weil du da schon Vorwissen hattest, dich also schon ein Stück weit in diesem Gebiet auszukennen scheinst? Ist dir klar, welchen Baustein die Erkenntnisse aus diesem Artikel in dem Netzwerk deines Theorieverständnisses bilden? Nein, all diese Aspekte hast du in diesem Artikel nicht gesehen, weil du ihn durch den Filter deiner Vorstellungen gelesen hast. Du hast deine Schablone „dröger wissenschaftlicher Artikel“ angelegt und nichts von dem mitbekommen, was deine Leseerfahrung hätte bereichern können. Schade, oder?

Aber das ist nicht deine eigene Schuld! Ich halte es für relativ wahrscheinlich, dass ein Effizienzideal dich dazu verführt hat, mit dieser Schablone an den Artikel heranzugehen. Du willst schnell ans Ziel gelangen, und darum hast du den Artikel als Hindernis betrachtet, das zwischen dir und der Zielerreichung (z.B. Fertigstellung des Theorieteils deiner Arbeit) liegt. Aus dieser ergebnisorientierten Perspektive heraus ist natürlich jedes Wort ein Wort zu viel, der Artikel also zwangsläufig zu lang und du brauchst zwangsläufig mehr Zeit, als du am liebsten dafür benötigen würdest (nämlich gar keine). Abhilfe schafft hier die Orientierung auf den Prozess (ausführlicher siehe z.B. Link oder Link) hin. Wenn du dich der Tätigkeit des Lesens und Bearbeitens selbst hingibst, ohne damit möglichst schnell ans Ziel kommen zu wollen, dann bist du offen für all die Schätze, die in dieser Erfahrung liegen können. Vielleicht sogar manchmal auch echte Langeweile. Aber im Gegensatz zur Langeweile oben, die durch deine eigene Haltung entsteht, ist diese Langeweile dann informativ: Sie zeigt an, dass der Artikel möglicherweise wirklich für deine Arbeit irrelevant ist und du die Bearbeitung dieses Artikels zugunsten wichtigerer Quellen sofort einstellen kannst.

Wie Effizienz schadet

Viele von uns erleben sich selbst gerne als wirksam. Schon ganz kleine Kinder freuen sich daüber, wenn es ihnen gelingt, in ihrer Umwelt etwas bewirken zu können. Wenn sie z.B. die Rassel auf den Boden werfen, gibt das ein Geräusch. Das Kind innerlich: „Hurra, ich kann ein Geräusch machen!“ Und wirft die Rassel – zum Leidwesen mancher Eltern – begeistert immer wieder hinunter. Im Laufe der Kindheit entwickelt sich aus diesem ersten Bedürfnis nach Wirksamkeit ein Bedürfnis nach Kompetenz. Wir fühlen uns dann wirksam und kompetent, wenn es uns gelingt, mit unseren Handlungen Effekte erzielen. Es genügt uns dann allerdings nicht mehr, irgendeinen Effekt zu erzielen, sondern das Ergebnis muss dann einem Gütemaßstab gerecht zu werden. Wenn ich ein Regal aus dem Möbelmarkt zusammenbaue und es hinterher fertig da steht, dann erlebe ich in diesem Moment einen Erfolg und fühle mich kompetent.

Jetzt gibt es aber viele Tätigkeiten, da begeistert mich das Endergebnis weniger. Wenn ich einen Stapel Unterlagen kopiert habe, dann empfinde ich selten ein großes Erfolgserlebnis ob meiner Leistung. Die Tatsache allein, dass es mir gelungen ist, zu kopieren, ist dann nicht mehr ausreichend, um mich kompetent fühlen zu können. Das war vielleicht am Anfang meiner Studienzeit so, als ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Kopierer bedient habe. Heute aber hat sich der Maßstab verschoben: Von der Frage, ob mir etwas überhaupt gelungen ist, oder der Frage, von welcher Qualität das Ergebnis ist, hat sich das Erfolgskriterium zu der Frage hin verschoben, wie schnell ich etwas erledigen konnte. Die Geschwindigkeit der Erledigung ist zum neuen Maßstab geworden. Und dieser Maßstab beginnt nun, ein Eigenleben zu führen.

Das Problem ist, dass wir, wenn Effizienz als Maßstab erstmal verankert ist, anfangen, jedwede Handlung an diesem Maßstab zu messen. Das geht dann so weit, dass ich auch den Weg zur Arbeit am Morgen unter Effizienzgesichtspunkten bewerte. Wo ich beim ersten Mal froh bin, wenn ich den Weg gefunden habe, dann bin ich später nur noch froh, wenn ich maximal schnell am Ziel angekommen bin, d.h. alle Ampeln, Abfahrtszeiten und anderen Verkehrsteilnehmer mir wohlgesonnen waren und ich in persönlicher Bestzeit an meiner Arbeitsstelle angelangt bin. Sobald aber die rote Welle zuschlägt, ein Stau meine Weiterfahrt behindert oder ein Zug etwas Verspätung hat, bin ich unzufrieden. Nicht, weil ich an diesem Tag wegen der 5 Minuten Verzögerung irgendwie weniger Erfolg haben werde. Sondern allein, weil die Anfahrt zu meinem Arbeitsplatz dann meinem Maßstab an Effizienz nicht gerecht wird. Und das ist wichtig, denn, wenn ich nicht effizient bin, erlebe ich mich als inkompetent! Ich fühle mich inkompetent, obwohl zum einen die Dauer der Anfahrt in keinem Zusammenhang zu meiner tatsächlichen Wirksamkeit an diesem Tag steht und zum anderen ich für die Verzögerung zu allem Überfluss ja auch gar nichts kann! Also auch nie eine Chance hatte, „wirksamer“ zu sein. Also ist Effizienz hier ein höchst unfairer Maßstab für mein Bedürfnis nach Kompetenz!

Im obigen Beispiel sabotieren wir durch den Anspruch, effizient zum Arbeitsplatz zu kommen, unsere Zufriedenheit, haben aber abgesehen davon vielleicht noch keinen großen Schaden. Leider noch folgenreicher ist es, wenn wir den Effizienzmaßstab auf weitere Tätigkeiten übertragen: Dann sind es nicht nur die „langweiligen“ Routinetätigkeiten, die wir an diesem Maßstab messen, sondern auch Tätigkeiten, die wir noch nie zuvor gemacht haben. Stellen wir uns vor, dass wir im Rahmen unserer Dissertation einen Zeitschriftenartikel lesen wollen, weil wir ihn als wichtig für unsere weitere Arbeit erachten. Viele neigen nun dazu, auch auf das Lesen dieses Artikels den Effizienzmaßstab zu übertragen. Wir wollen den Artikel dann nicht nur lesen, verstehen und die Inhalte für uns verwenden, sondern das soll alles auch noch möglichst schnell gehen. Aber wie lange eigentlich genau? Ist 1 Stunde angemessen? Oder 2 Tage? Woher sollen wir das wissen, wir kennen den Artikel ja noch gar nicht! Und das ist das Problem: Brauchen wir für den Artikel länger als für einen maximal einfachen Text, den wir einfach nur durchlesen, ohne dass es auf Verstehen und Behalten ankäme, so beschleicht uns mit jeder weiteren Minute das Gefühl, nicht schnell genug zu sein. Wir fühlen uns dann zu langsam, zu unintelligent – inkompetent. Das Fiese ist, dass dieser Maßstab völlig losgelöst von der tatsächlichen Angemessenheit des Zeitbedarfs seine negative Wirkung entfaltet! Ob wir diesem Artikel, weil es vielleicht die zentrale Quelle der Arbeit ist, angemessenerweise vielleicht eine ganze Woche widmen sollten, taucht da in der Effizienzbewertung überhaupt nicht auf! Und so sind wir in einer Zwickmühle gefangen: Lesen wir den Artikel super schnell, um unserem Effizienzanspruch gerecht zu werden, so verstehen wir nichts und fühlen uns deswegen inkompetent. Nehmen wir uns die Zeit für das Durcharbeiten der Quelle, die wir dafür benötigen, um sie richtig zu verstehen, dann fühlen wir uns inkompetent, weil wir „nicht schnell genug“ sind. Danke, Effizienzanspruch! Dank dir ist es mir unmöglich, mit meiner eigenen Arbeit zufrieden zu sein!

Was tun? Wenn der Anspruch, bei jeder oder wenigstens bei dieser Aufgabe effizient sein zu müssen, nicht mehr so verbindlich wäre, dann könnten wir uns kompetenter fühlen. Aber wie wird man diesen Anspruch los? Dafür gibt es die Übung zum Loslassen, die in dieser Kurslektion genau erklärt wird. Ich möchte an dieser Stelle einmal vorführen, wie die Übung für das Effizienzideal aussehen könnte.

Übung zum Loslassen Des AnspruchS an Effizienz

Wir starten mit der Beschreibung der Aufgabe: Nehmen wir an, vor uns liegt tatsächlich die Aufgabe, einen bestimmten wissenschaftlichen Artikel zu lesen. Diese Aufgabe scheint uns langwierig und mühsam.

Als nächster Schritt widmen wir uns den Gefühlen, die beim Gedanken an den Arbeitsbeginn an dieser Aufgabe hochkommen: Denken wir daran, jetzt mit dem Artikel anzufangen, dann steigt Unbehagen in uns auf. Welcher Art ist dieses Unbehagen? Bei genauerer Betrachtung handelt es sich um verschiedene Ängste. Da wären einmal die Angst, in dem Artikel auf etwas zu stoßen, das wir nicht verstehen. Würde das passieren, dann würden wir uns schämen ob unserer „Unfähigkeit“. Und Scham ist ein sehr unangenehmes Gefühl, weswegen wir das lieber vermeiden möchten. Das Gefühl, das mit einer Vermeidungstendenz verbunden ist, ist eben Angst. In diesem Fall die Angst davor, uns in Zukunft vielleicht schämen zu müssen. Nehmen wir aber nun mal an, dass wir schon einen Haufen Artikel gelesen haben und jetzt gerade nicht glauben, dass in diesem Artikel etwas besonders Unverständliches auftauchen wird. Dann ist diese Angst wahrscheinlich nicht der Hauptgrund für unser Unbehagen. Vermutlich ist es dann eher die Angst, dass das Durcharbeiten des Artikels langwierig, zäh und zeitraubend sein wird. Ein außenstehender Beobachter könnte jetzt fragen: Na und? Wo ist das Problem? Warum darf das nicht einfach langwierig sein? Und genau hier kommt unser Effizienzanspruch ins Spiel.

Das ist der dritte Schritt der Übung: Welcher Anspruch steckt hinter der Angst? Warum ist es nicht in Ordnung, wenn das eintritt, was wir befürchten? In unserem Fall hier ist es ein Effizienzideal, das als Maßstab fungiert. Weil wir den Anspruch an uns selbst anlegen, effizient, zügig und geschmeidig mit allen Aufgaben fertig zu werden, ist es eben nicht ok, wenn ein Artikel relativ lange Zeit benötigt, um vollständig bearbeitet zu werden. Unser Effizienzanspruch sagt uns, dsas wir schneller fertig werden müssen. Aber wozu haben wir diesen Anspruch eigentlich?

Der vierte Schritt: Welches Bedürfnis steht hinter dem Anspruch? Wofür war der Anspruch mal nützlich? Gewöhnlich ist es so, dass wir in der Kindheit die Erfahrung machen, dass wichtige Bedürfnisse nicht immer befriedigt werden. Darum suchen wir als Kinder nach Möglichkeiten, wie diese Bedürfnisse doch noch, wenigstens ein Stück weit, befriedigt werden könnten. Haben wir eine solche Möglichkeit entdeckt, versuchen wir, die entsprechende Verhaltensweise öfter auszuführen. Mit der Zeit nimmt diese Lernerfahrung dann die Form einer festen Regel an. Beispiel: „Du darfst keine Fehler machen!“ oder „Verhalte dich so, dass dich immer alle mögen!“ sind zwei Regeln, die dazu dienen, sicherzustellen, dass unser Bedürfnis nach Anerkennung befriedigt wird. Um die Befriedigung des Bedürfnisses nach Kompetenz zu garantieren, entwickeln viele von uns das Ideal, Aufgaben immer schön schnell und effizient zu erledigen. Dadurch kann man auch bei anderweitig unbefriedigenden Aufgaben ein Kompetenzerlebnis generieren.

Der fünfte und entscheidende Schritt: Jetzt haben wir alles zusammen, um den Hebel ansetzen zu können, der uns die Angst und damit das Unbehagen vor einer Aufgabe nehmen kann. Dazu gehen wir nochmals die Kaskade aus Bedürfnis, Anspruch und Gefühl rückwärts durch: Jeder Mensch, so auch ich, hat ein Bedürfnis nach Kompetenz. Es hat sich früher als sinnvoll erwiesen, die Befriedigung dieses Bedürfnisses zu sichern, indem ich mir den Anspruch auferlege, Aufgaben immer effizient erledigen zu müssen. So ein Anspruch macht aber nun, bei einer unbekannten Aufgabe, notwendigerweise, ganz zwangsläufig Angst, ihm nicht gerecht werden zu können. Ich kenne die Aufgabe noch nicht – woher soll ich also wissen, ob ich in der Lage sein werde, diese Aufgabe effizient erledigen zu können? Und genau wegen dieser Unsicherheit muss ich einfach Angst bekommen. Es besteht also ein logischer und zwangsläufiger Zusammenhang zwischen meinem natürlichen Bedürfnis nach Kompetenz und der Angst und Vermeidungstendenz, die ich jetzt gegenüber dieser neuen Aufgabe habe! Und was haben wir davon, dass der Anspruch an Effizienz hier Angst macht? Wir vermeiden die Aufgabe. Und das führt dazu, dass wir uns mit dieser Aufgabe eben kein Kompetenzerlebnis verschaffen können! Das bedeutet: Der Anspruch an Effizienz konterkarriert seine ursprüngliche Aufgabe! Er war ursprünglich dazu da, uns mit einem konstanten Fluss von Erfolgserlebnissen zu versorgen, so dass unser Bedürfnis nach Kompetenz möglichst ununterbrochen gefüttert wird. Und was passiert hier? Das Gegenteil! Der Anspruch an Effizienz sorgt dafür, dass wir gerade kein Erfolgserlebnis haben werden! Stattdessen müssen wir Angst davor bekommen, dem Anspruch nicht gerecht zu werden, und darum die Aufgabe vermeiden. Das Effizienzideal schießt sich selbst ins Knie und wirft dem Bedürfnis nach Kompetenz Steine in den Weg.

Der sechste Schritt: Mit dieser Erkenntnis können wir uns nun zurücklehnen und sagen, dass wir das Effizienzideal an dieser Stelle, bei dieser Aufgabe nicht benötigen. Wir haben eben logisch bewiesen, dass es sich hier ins Gegenteil verkehrt, weswegen wir es jetzt losloassen, um uns selbst etwas Gutes zu tun. Wir werden uns besser fühlen, weniger Angst haben und zufriedener sein, wenn wir der Erkenntis, dass Effizienz hier ein schädlicher Anspruch ist, folgen und diesen Anspruch für – bei dieser Aufgabe – ungültig erklären.

Der siebte Schritt: Jetzt können wir uns wieder der Aufgabe zuwenden und anerkennen, dass sie uns unbekannt ist, wir nicht wissen, wie lange die Bearbeitung dauern wird und ob wir auf Hindernisse stoßen werden. Wir fangen trotzdem mit der Aufgabenbearbeitung an, weil es ok ist, wenn es länger dauern wird. Wir nehmen die Welt so, wie sie ist, und widmen uns der Aufgabe mit all ihren individuellen Eigenheiten.

Anmerkungen zur Umsetzung

Diese Ausführungen bedeuten nicht, dass Effizienz anzustreben immer ungünstig oder falsch ist. Der Witz ist, zu verstehen, wie der Anspruch an Effizienz bei bestimmten Aufgaben schädliche Wirkung entfaltet. Geht man die zuvor beschriebenen Schritte jedes Mal durch, wenn man vor einer Aufgabe steht, die man unangenehm findet und deswegen aufschiebt, dann wird sich mit der Zeit der Anspruch reduzieren. Das Effizienzideal wird seine Gültigkeit und Verbindlichkeit an dieser Stelle verlieren. Das geht bei den meisten Leuten natürlich nicht über Nacht. Man muss sich eher vorstellen, dass dieses Effizienzideal ein großer Steinklotz ist, der dir den Weg zu zufriedenstellender Aufgabenbearbeitung versperrt. Und jedes Mal, wenn du diese Übung hier machst, dann nimmst du ein Schleifpapier und reibst eine kleine Schicht von diesem Stein ab. Der Effekt ist bei der einzelnen Durchführung vielleicht nicht riesengroß, aber langfristig ist der Steinklotz verschwunden. Für die einzelne Durchführung reicht es völlig aus, wenn du hinterher ein klein bisschen weniger stark die Aufgabe vermeiden willst. Wenn es dir ein kleines bisschen leichter fällt, an die Aufgabe ran zu gehen, dann hat die Übung funktioniert. Also keine Wunder erwarten, auf die Stetigkeit kommt es an. Was aber nicht bedeutet, dass bei vielen Teilnehmern nicht schon nach dem ersten Mal eine gewaltige Last abfällt!

Also: Probiere das für dich und deine Aufgabe aus und kommentiere hier, welche Erfahrungen du damit gemacht hast!