Ich bin kein Fan von schwarzer Pädagogik, von Erziehung durch Abschreckung. Ich möchte Menschen zeigen, was für eine angenehme Zukunft auf sie wartet, wenn sie bestimmte Veränderungen in ihrem Denken vornehmen. Aber heute möchte ich mal darüber schreiben, was passieren kann, wenn man diese Veränderungen nicht vornimmt. Sozusagen aus aktuellem Anlass.
Vor einiger Zeit habe ich meine Stelle gewechselt. Die neue Stelle ist super, anregendes Umfeld, Entfaltungsmöglichkeiten, gute Unterstützung und nette und kompetente Kolleg*innen. Am Anfang bin ich natürlich noch neu gewesen, alles noch nicht vertraut. Das galt auch für die Aufgaben und Inhalte, mit denen ich mich beschäftige. Die Umstellung auf all das Neue, vom neuen Arbeitsort angefangen über ein neues Betriebssystem meines Rechners bis zum neuen Mensasystem, war natürlich ziemlich anstrengend. Aber mir ging es, trotz regelmäßigen Schlafmangels, ziemlich gut. Gut gelaunt und voller Tatendrang. Aber vor zwei, drei Wochen ist diese Situation gekippt. Mein Stresspegel ist gestiegen und ich bin dann mit ca. einer Woche Verzögerung prompt ein wenig krank geworden. Kein Drama, aber auffälliges Timing. Und bei genauer Betrachtung sehr aufschlussreich. Was war passiert?
Zu Beginn im neuen Job lerne ich erstmal alles kennen. Ich blicke auf diese neue Welt, die sich mir darbietet, mit unverbrauchten Augen und bewerte alles erstmal neutral. Was dort geschieht, ist noch nicht wirklich „mein Bier“ – ich steige ja gerade erst ein. Ich werde aufgenommen, bin aber noch kein vollwertiger Teil des neuen Teams. Noch ist mir das, was ich dort tue, fremd. Diese Situation macht einen starken Fokus auf den Arbeitsprozess leicht. Ich weiß noch gar nicht, worauf das alles hinauslaufen wird, ich habe noch gar keine längerfristigen, ja noch nicht einmal mittelfristige Ziele im Rahmen der neuen Stelle. Erstmal geht es nur darum, mich einzurichten und klar zu kommen. Kein Wunder, dass ich nur damit beschäftigt bin, den Prozessen, die sich ohne meine bewusste Steuerung ergeben, zu folgen.
Mit der Zeit aber ändert sich diese Situation – natürlich. Meine Arbeitszeit dort bekommt eine Kontur, eine Struktur aus Rhythmen (Wann ist das Mittagessen? Wer geht an welchen Tagen mit?), ein soziales Gefüge (Wer ist in welchem Bereich kompetenter Ansprechpartner*in? Wen frage ich zu welchem Problem? Wer verbringt Zeit mit wem, welche Beziehungen bestehen zwischen den Kolleg*innen? Was ist hier wichtig?). Ich beginne, das Gebäude, in dem ich arbeite, nicht mehr als ein Gebilde zu sehen, das Architekten(alb-?)träume in Beton visualisiert, sondern betrachte es mehr aus funktionaler Perspektive: „Wo steht der beste Kopierer und wie komme ich auf schnellstem Weg dorthin?“ Die ersten Projekte kommen ins Rollen, die ich selbst mit angestoßen habe. Die Ziele, die in den Projekten, in die ich eingestiegen bin, bestehen, sind zu meinen eigenen geworden. Ich habe mich mit den Zielen identifiziert. Damit haben diese Ziele eine höhere Verbindlichkeit für mich erhalten. Das Erreichen dieser Ziele wird wichtig für mich, wo ich zu Beginn noch neutral gegenüber jedem Ausgang meiner Handlungen war. Mit einem Wort: Die Ergebnisorientierung hat Fuß gefasst. Was an sich noch gar nicht so schlimm wäre, aber diese Ergebnisorientierung schleppt – zumindest meistens und so auch ein meinem Falle – ein ganzes Paket aus Ansprüchen mit sich: Ziele gut zu erfüllen und Ziele schnell zu erreichen. Das bedeutet, dass ich möglichst alle aktuellen Ziele am liebsten schon erreicht hätte. Genau diese Ansprüche sind es, die dann Druck aufbauen. Druck heißt hier konkret, dass ich Angst habe, diesen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Was sehr berechtigt ist, da „alles perfekt und dazu sofort fertig haben“ einfach nicht zu schaffen ist (zu dieser Dynamik aus Anspruch und Angst siehe ausführlicher dieser Artikel). Aber trotzdem bleibt der Anspruch verbindlich und ich versuche mit vermehrter Anstrengung, diesem doch noch irgendwie gerecht zu werden. Bei dem gleichzeitigen Gefühl, es nicht zu schaffen. Diese Konstellation entspricht genau der psychologischen Definition von Stress:
Stress ist ein Reaktionsmuster eines Organismus auf Ereignisse, die dessen Gleichgewicht stören und dessen Fähigkeit, die Einflüsse zu bewältigen, stark beanspruchen oder übersteigen. (Zimbardo, 2004, 16. Aufl.)
Genau das Gefühl habe ich ja: Ich strenge mich an (= Bewältigungsversuch) und befürchte, es trotzdem nicht zu schaffen, allem gerecht zu werden (= Übersteigen meiner Bewältigungsfähigkeiten). Ich reagiere also mit Stress auf das Druckszenario, das meine Ansprüche mir gebaut haben. Und wenn ein Organismus Stress empfindet, dann werden (u.a. vermittelt über das Hormon Cortisol) dessen Immunsystem unterdrückt und Reparationsprozesse des Körpers reduziert, um vorübergehend mehr Ressourcen für die Bewältigung des Stressors bereit zu stellen. Deswegen haben aber, solange der Stress anhält, Krankheitserreger leichtes Spiel bzw. körpereigene Prozesse laufen leichter aus dem Ruder. In der Folge werden wir krank. Der Wunsch, bestimmte Ergebnisse zu erzielen, hat uns krank gemacht.
Was muss ich also tun? Wie kann ich die Prozessorientierung wieder stärken und die Ansprüche abbauen?
- Ich kann die Übung zum Loslassen benutzen, um die Ansprüche an mich selbst zu reduzieren und mir vor Augen zu führen, wie schädlich diese für meine Bedürfnisse sind. Diese Übung zum Loslassen ist Teil des Kurses und wird dort ausführlich erklärt und geübt.
- Ich kann mit Sport, Meditation und Entspannungsverfahren versuchen, die Anspannung an sich zu reduzieren.
- Und ich kann mich hinsetzen und überlegen, welche der ganzen Aufgaben, die ich gerade parallel zu bewältigen versuche, welche Priorität haben. Und diese dann brutal radikal in eine Rangfolge bringen, in der zwei Dinge nicht gleich wichtig sein können. Damit bloß nicht das Gefühl entsteht, mit dem ich ja schon die ganze Zeit rumlaufe: „Alles ist gleich wichtig!“. Und dann konzentriere ich mich auf die wichtigste Aufgabe und vereinbare für die anderen Aufgaben spätere Bearbeitungszeitpunkte.
Am besten nutze ich alle drei Maßnahmen ;-). Was tust du?