Wie wir unseren Umgang mit Fehlern verbessern können

Es passiert ständig: Wir arbeiten an einem wichtigen Projekt, geben uns Mühe, unsere Sache gut zu machen, und trotzdem passiert es. Wir machen einen Fehler. Wir haben vergessen, eine Kleinigkeit zu berücksichtigen, wir haben etwas übersehen, wir haben ein Detail nicht bedacht, wir sind von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen usw. Idealerweise würden wir jetzt zu uns sagen: „Aha, eine interessante Information. Diese werde ich sogleich nutzen, um meine Arbeit an diesem Projekt noch weiter zu verbessern.“ So eine Haltung erzeugt ein positives Fehlerklima. Sie ist gekennzeichnet davon, dass Fehler als wertvolle Rückmeldung angesehen werden, um wieder etwas dazuzulernen.

Was aber stattdessen viel eher passiert, hört sich ungefähr so an: „Oh verdammt, das hätte ich aber wissen müssen. Es ist peinlich, das nicht berücksichtigt zu haben. So ein dummer Fehler. Das darf nicht wieder vorkommen!“ Mit dieser Haltung fällt es uns viel schwerer, uns mit dem Fehler zu beschäftigen und so viel wie möglich aus ihm zu lernen, da wir hauptsächlich damit beschäftigt sind, unseren Selbstwert, dem ein empfindlicher Schlag versetzt wurde, wieder zu stabilisieren. Und dabei hilft es jetzt nicht gerade, mit voller Aufmerksamkeit auf den Schauplatz des eigenen Versagens zu blicken. Darum sehen wir am liebsten gar nicht hin. Wir versuchen, die Sache, so schnell es geht, irgendwie zu bereinigen, so dass es uns selbst bloß möglichst wenig runterziehen möge. Wir müssen den Fehler ein Stück weit verdrängen, weil wir das volle Ausmaß unseres Versagens sonst nicht aushalten könnten. Diese Art von Umgang mit einem Fehler hat also zwei Arten von Kosten: Erstens steht uns ein Teil unserer Ressourcen, der durch Maßnahmen zum Schutz unseres Selbstwerts gebunden ist, nicht zur Bewältigung des Fehlers zu Verfügung. Unsere Aufmerksamkeit ist geteilt. Zweitens können wir zusätzlich nicht maximal von dem Erkenntnisgewinn, den uns der Fehler verschaffen könnte, profitieren, weil wir möglichst wenig davon wissen wollen.

Wenn mir meine eigene Kompetenz und deren Weiterentwicklung wichtig sind, dann ist die erstgenannte, fehlerpositive Haltung der Haltung, die von Versagensgefühlen und Scham geprägt ist, also deutlich überlegen. Was können wir nun tun, um eine positivere Einstellung gegenüber Fehlern zu entwickeln?

Schritt 1: Erkenntnis

Der erste Schritt ist, zu verstehen, welche Ziele diesen Haltungen gegenüber Fehlern zugrunde liegen. Eine fehlerpositive Haltung basiert auf dem Ziel dazuzulernen. Wenn ich meinen status quo verlassen möchte und ich es mag, neue Inhalte in mein Gedächtnis zu integrieren, dann ist mir jeder Fehler willkommen, denn dann weiß ich, wo ich noch dazulernen kann und was genau ich dafür tun kann. Jeder Fehler hilft mir, mein Ziel zu verwirklichen. Wenn ich aber stattdessen scharf darauf bin, eine tolle Leistung zu erzielen, diese vielleicht sogar anderen zeigen zu können oder andere mit meiner Leistung übertrumpfen zu können, dann hat der Fehler eine meinem Ziel zuwider laufende Bedeutung: Durch den Fehler weiß ich, dass ich mein Ziel nicht erreicht habe. Der Fehler stellt einen Rückschlag dar. Er ist Beweis, dass ich keine großartige Leistung gebracht habe, sondern eine mit Mängeln. Wenn ich mich dann auch noch reingehängt hatte und trotzdem diesen Fehler gemacht habe, dann ist der Fehler auch gleichzeitig eine Aussage über meine Fähigkeiten. Dann heißt ein Fehler, dass ich schlecht bin. Kein Wunder, dass ich dann diesen Fehler lieber aus meinem Bewusstsein verdrängen möchte und mich lieber nicht so eingehend damit beschäftigen möchte…

Schritt 2: Prozessfokus auch auf Fehler anwenden

Als zweiter Schritt brauche ich jetzt eine Unterstützung, die mir dabei hilft, fehlerfreundlich reagieren zu können und mich nicht in meinem Selbstwert herabgesetzt zu fühlen. Und genau diese Unterstützung bietet der Prozessfokus! Wenn ich meine Tätigkeit als Prozess sehe und das Ergebnis, das am Ende dieser Tätigkeit steht, nur als beiläufiges Nebenprodukt, dann ist mir automatisch weniger wichtig, ob das Ergebnis schon perfekt ist oder nicht. Ein Fehler und der Umgang damit sind dann lediglich Etappen in meinem Arbeitsprozess. Dabei hilft die Erkenntnis, dass Fehler zu machen und dann zu bewältigen, der schnellste Weg des Fortschritts ist. Es gibt nur einen Weg, Fehler zu vermeiden: Man bleibe genau bei den Tätigkeiten, die man schon perfekt beherrscht und routinemäßig ausführen kann. Man vermeide tunlichst jede Art von Herausforderung und beschäftige sich niemals mit etwas Neuem. Das ist natürlich völlig unattraktiv. Diesen Weg möchte niemand wählen. Unser Gehirn gaukelt uns aber oft vor, dass es noch einen zweiten Weg gäbe: Wenn wir uns nur gut genug anstrengen und konzentrieren würden, dann könnten wir auch bei neuen, unbekannten Tätigkeiten Fehler vermeiden und gleich beim ersten Versuch perfekte Ergebnisse liefern. Aber dieser Weg ist nicht real. Der existiert nur bei super trivialen Aufgaben, wo uns Erfolg oder Misserfolg sowieso egal sind. Frag mal eine Sportlerin, wie viele Male sie eine bestimmte Bewegung üben musste, bis diese relativ (!) fehlerfrei ausgeführt werden kann. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Handballspieler einen bestimmten Wurf ca. 1000 Mal üben müssen, bis dieser zuverlässig funktioniert… Das ist bei mentalen Operationen auch nicht grundsätzlich anders. Also wie oft wirst du eine bestimmte Art von mentalem Problem (z.B. diese Art von Matheaufgabe, diese Art von Literaturarbeit, diese Art von Datenanalyse, etc.) bewältigen müssen, bis du Fehlerfreiheit garantieren kannst?

Schritt 3: Prozessorientiert an der eigenen Haltung gegenüber Fehlern arbeiten

Ok, jetzt hast du schon das Wichtigste geschafft. Vielleicht fasst du nun den Entschluss, den nächsten Fehler willkommen zu heißen und dich nicht in deinem Selbstwert angegriffen zu fühlen. Das ist ehrenwert! Aber mach dir klar, dass das nicht beim ersten Mal klappen wird! Denn auch das Erlernen einer fehlerfreundlichen Haltung ist etwas Neues. Auch diese Lernaufgabe ist prozesshaft zu verstehen und wird über viele Fehler laufen, bis du zuverlässig jeden Fehler, den du machst, toll finden kannst. Auch ich stehe da erst ganz am Anfang. Auch ich fühle mich von konstruktiver Kritik an meiner Arbeit mehr gekränkt als dass ich sagen könnte „yes, wieder was Tolles dazugelernt!“ Aber der Weg lohnt sich!

Zusammenfassung

  1. Konzentriere dich darauf, dazuzulernen statt eine gute Leistung zu erzielen.
  2. Hilf dir dabei, indem du Fehler als Teil eines immer weiter laufenden Prozesses betrachtest, statt sie als Makel an einem Ergebnis zu verstehen.
  3. Gehe auch diese Schritte prozessorientiert an, d.h. erlaube dir auf dem Weg der Veränderung Fehler und Umwege.

„Prozessfokus ist ja schön und gut. Aber wie kann ich ohne Ziele leben?“

Eine Frage wie diese wird in meinen Kursen immer wieder gestellt. Und sie ist sehr verständlich! Meine Kursteilnehmer*innen lernen zum ersten Mal den Unterschied zwischen Ergebnis- und Prozessfokus kennen. Und verstehen, dass ersteres ihnen nicht gut tut. Als nächster Schritt müssen sie sich dann aber mit eben dieser Frage auseinander setzen: Wenn sie keine Ergebnisse mehr anstreben sollen, wie sollen sie dann überhaupt etwas anderes tun als immer nur das zu tun, worauf sie jetzt gerade am meisten Lust haben, wie z.B. Essen, Schlafen etc.? Wie soll ich dann überhaupt noch vom Sofa hoch kommen? So nachvollziehbar dieser Gedankengang ist, so geht er doch am eigentlichen Konzept des Prozessfokus vorbei. Denn dieser Überlegung liegt ein Missverständnis zugrunde.

Es geht nicht darum, keine Ziele zu haben. Es geht darum, die Aufmerksamkeit während zielorientierter Tätigkeit nicht auf das gewünschte Ergebnis zu fokussieren. Ob prozessorientiert oder ergebnisorientiert ist eine Frage der Aufmerksamkeit – keine der Motivation. Letztere bezieht sich auf die Frage, warum wir eine bestimmte Handlung unter all den alternativen Möglichkeiten, die wir in jeder Sekunde hätten, auswählen. Es gibt viele Gründe, warum wir ein Ziel ansteuern. Diese Gründe mögen uns mehr, weniger oder gar nicht bewusst sein. Es mag sein, dass die Erreichung des Ziels uns tatsächlich gut tut. Es kann aber auch sein, dass durch die Zielerreichung unsere wahren Bedürfnisse gar nicht befriedigt werden. All das steht auf einem anderen Blatt. Die Frage nach Prozess- oder Ergebnisfokus stellt sich erst, sobald ich mich zu einer Handlung bzw. für ein Ziel entschieden habe. Aus welchen Gründen auch immer. Sobald ich diese Handlung dann starten möchte, sobald ich Schritte in Richtung des Ziels gehen möchte, genau dann wird es darauf ankommen, worauf ich währenddessen meine Aufmerksamkeit lenke. Wenn ich vor allem das Ergebnis sehe, dann habe ich keine Augen für das Erleben des Weges. Der Weg ist dann nur die Hürde, die mich von meinem Ziel trennt. Die entsprechend möglichst schnell aus dem Weg geräumt werden soll. Was ich dabei übersehe, ist, dass dieser Weg mein Leben ist. Und dieses Leben werde ich nur dann aktiv miterleben, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht auf einen Punkt in der Zukunft richte, sondern in der Gegenwart bleibe und das mit all seinen Facetten wahrnehme, was gerade direkt vor mir liegt.

Wir haben also auch prozessorientiert durchaus weiterhin Ziele. Sie sagen uns weiterhin, welche Richtung wir einschlagen. Aber sie erinnern uns nicht mehr ständig daran, was unbedingt erreicht werden soll. Sondern sind mehr wie ein Kompass, der die grobe Richtung anzeigt, aber nicht wie eine Landkarte, auf der der Zielort eingezeichnet und der Weg dorthin vorgegeben ist. Wir blicken auf den Kompass, um zu sehen, in welche Richtung wir den nächsten Schritt setzen sollen. Wir sehen uns aber nicht ständig Fotos vom Zielort an, während wir durch die Welt streifen.