Vortrag: Nie wieder aufschieben in drei Schritten

Gestern haben sich ca. 40 Doktorandinnen und Doktoranden der Ludwig-Maximilians-Universität München und ich im GraduateCenter in der Leopoldstraße versammelt, um gemeinsam erste Schritte in Richtung weniger Prokrastination und mehr Lebensqualität zu gehen. Gerade während der Promotion ist es für normale Menschen eine ziemliche Herausforderung, mit den Anforderungen klar zu kommen, die diese Art von Beschäftigung an sie stellt: Promovieren ist eine Aufgabe, deren Erfolg erst in weiter Ferne bewertet werden wird, deren konkrete Ausgestaltung ziemlich unklar ist und zu der (in den meisten Fällen) kaum Struktur und Kontrolle von außen vorgegeben wird. Die große Freiheit, den eigenen Arbeitsprozess gestalten zu können, wie man will, führt dann nicht zwangsläufig zu großer Zufriedenheit. Wie man das aber schafft, so zu arbeiten und mit sich selbst umzugehen, dass diese Zeit produktiv und angenehm gestaltet werden kann, das war Thema der gestrigen Veranstaltung. Der erste Teil der Veranstaltung war ein einführender Vortrag: Hier findet sich die Videoaufzeichnung und eine schriftliche Zusammenfassung dieses Vortrags. Während des zweiten Teils durften dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst ran und planten und verfeinerten gemeinsam eine neue Gewohnheit, die sie in den folgenden Tagen neu in ihren Alltag integrieren wollen. Ich drücke allen die Daumen und bin gespannt, wie gut das klappen wird! Falls bei dir Schwierigkeiten auftreten, dann denke unbedingt an folgende Grundhaltung: Wenn es nicht funktioniert, dann ist die Gewohnheit noch nicht ganz passend oder die geplante Unterstützung noch nicht ausreichend. Es liegt niemals an dir selbst oder deiner „Willensschwäche“! Deine Aufgabe ist also, dich nicht über dich selbst zu ärgern, sondern konstant deine Gewohnheitsplanung solange anzupassen, bis deine Gewohnheit ein Selbstläufer ist.

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
ihr seid herzlich eingeladen, mir (hier oder als Kommentar hier drunter) eventuell auftauchende Fragen zu stellen oder Erfolge zu berichten!

Ich will mehr machen, was kann ich tun?

  • Hier kann man sich (als Doktorand*in der LMU München) zu meinem Kurs beim GraduateCenter anmelden.
  • Hier kann man die Basisversion des Kurses ohne irgendwelche Verpflichtungen im Selbststudium belegen.
  • Hier kann man zusätzliche Unterstützung durch mich persönlich buchen (ähnlich zum Gruppenkurs, aber mit ganz individuellem Rhythmus nach deinen Wünschen).
  • Oder du stöberst einfach hier auf dem Blog herum und liest, was dich interessiert. Da sind sicher auch für dich passende Themen dabei.

Du bist nicht faul!

Es gibt keine Faulheit. Wir hören zwar oft: „Ich bin unmotiviert.“ Aber das stimmt so nicht ganz. In Wirklichkeit ist jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt immer zu irgendetwas motiviert. Manchmal bin ich motiviert dazu, auf dem Sofa zu liegen, manchmal motiviert, im Internet zu surfen, aber nicht immer bin ich motiviert, den Klausurstoff zu lernen. Ok, jetzt wirst du vielleicht sagen, dass du genau das doch gemeint hättest. Also übersetzen wir „Ich bin unmotiviert“ in ein präziseres „Ich bin unmotiviert, das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte zu tun.“ Jetzt könnte man versucht sein zu sagen: „Da ist sie doch, die Faulheit! Ich sitze faul auf dem Sofa rum, während ich eigentlich was anderes tun wollte.“ Diese Aussage ist aber nicht identisch mit „ich bin zu … nicht motiviert.“ Denn das kleine Wörtchen „faul“ transportiert noch etwas anderes: Da steckt zum einen die Annahme drin, dass es uns an Selbstdisziplin mangele, trotz fehlender Motivation die geplante Handlung umzusetzen, und zum anderen ein Werturteil, dass dieser Mangel an Disziplin außerdem verwerflich sei. Schauen wir uns nun doch mal an, was es mit dieser Selbstdisziplin auf sich hat.

Wir sind immer motiviert – bloß wozu?

Ich glaube, dass wir niemals etwas tun, zu dem wir nicht motiviert sind. Manchmal stehen wir vor einer Aufgabe, die wir nicht tun wollen. Und dann schaffen wir es irgendwie, so mit uns umzugehen, dass wir diese Aufgabe am Ende trotzdem tun. Wir sagen, wir hätten uns einfach gezwungen. Damit wir die Fähigkeit, sich zu überwinden, zu einem Akt der Disziplin, der scheinbar etwas anderes ist, als etwas zu tun, weil wir es wollen. Und genau das stelle ich in Frage. Ich behaupte, dass auch dieser Akt der gefühlten Zwangsausübung bei genauem Hinsehen nichts anderes ist, als uns die nötige Motivation zu verschaffen, eine Aufgabe doch tun zu können. Wir handeln dann eben nicht gegen unsere Motivation, sondern es gelingt uns, Motivation für den ursprünglichen Plan bereitzustellen, wo Minuten vorher noch keine war. Und das zu können, auf Knopfdruck Motivation herzustellen, das bezeichnen wir als Selbstdisziplin.

Was ist eigentlich Selbstdisziplin?

Also wie genau machen wir das dann, dieses „uns überwinden“? Es gibt da ganz unterschiedliche Wege. Die einen führen sich vielleicht vor Augen, was geschieht, wenn sie die gewünschte Handlung nicht ausführen. Die negativen Folgen können, wenn man sie sich direkt vor Augen führt, dann aversive Wirkung entfalten. Gerade so viel, dass man sich sagt „Nein, das will ich nicht!“ Voilà, es ist Motivation entstanden, diese negativen Folgen zu vermeiden und die ursprünglich geplante Handlung doch umzusetzen. Andere Personen motivieren sich besser über positive Zustände. Sie führen sich dann kurz vor Augen, warum es für sie attraktiv ist, die geplante Handlung, zu der sie vor Minuten noch keine Lust verspürt haben, doch umzusetzen. Sie nehmen dann in ihrem Geist die positiven Folgen der Handlungsausführung vorweg und steigern so die Motivation, das eben doch nun umzusetzen.

In anderen Momenten ist es aber gar nicht so sehr die wahrgenommene, mangelnde Attraktivität, die uns von der Handlungsumsetzung abhält, sondern eher der Eindruck, dass diese Aufgabe schwierig werden könnte. Dann hilft es manchmal mehr, sich vor Augen zu führen, dass man in der Vergangenheit solche Aufgaben schon oft gut bewältigt hat oder dass andere, die auch nicht fähiger sind als man selbst, es auch hinbekommen haben.

Es gibt aber auch die gegenteilige Variante: Für viele ist es hilfreich, gerade das Gegenteil zu tun. Nicht länger über mögliche Folgen der Handlung nachzudenken, sondern dieses In-die-Zukunft-Denken abzubrechen und stattdessen die Aufmerksamkeit auf die Handlung selbst zu richten. Wir nehmen in so einem Moment die früher getroffene Entscheidung, dass wir diese Handlung umsetzen wollen, einfach als gesetzt an und konzentrieren uns ganz darauf, den ersten Schritt zu gehen. Durch diese Verschiebung der Aufmerksamkeit schaffen wir dann den Übergang von der Motivationsphase (also der Frage „Was möchte ich tun?“) in die Handlungsphase (also die Umsetzung). Wenn man jemanden fragt, der genau diese Strategie nutzt, dann wird diese Person diesen Prozess vermutlich nicht so genau beschreiben können. Vermutlich bekommt man nur so etwas wie „Ich mache es dann einfach“ zu hören. Aber bei genauer Betrachtung steckt in dieser Aussage eben genau dieser Prozess: Es gelingt mir, meine Aufmerksamkeit von der Frage des Für und Wider abzuziehen und die Aufmerksamkeit stattdessen auf die Ausführung der Handlung zu richten. Dann steht keine Entscheidung mehr zwischen mir und der Handlungsausführung und schon passiert es, dass ich die Handlung tatsächlich anpacke.

Um zum Anfang zurück zu kommen: Selbstdisziplin zu haben, heißt also nichts anderes, als eine der beiden (oder beide) Fähigkeiten zu haben: Entweder ich kann Motivation für eine Handlung wiederherstellen, auch wenn mir diese Motivation zwischenzeitlich mal abhanden gekommen ist. Oder ich kann meine Aufmerksamkeit auf die Ausführung verschieben und damit das Grübeln über die Frage, ob ich es mache oder nicht, beenden. Eine Fähigkeit zu besitzen ist keine Frage von Willen, sondern von Training. Wenn ich als Tänzer ein bestimmte Schrittabfolge tanzen will, dann hilft es wenig, diese Abfolge ganz dringend zu wollen. Was ich tun muss, ist üben. Ich trainiere diese Abfolge so lange, bis sie zuverlässig sitzt. Das gleiche gilt für die Fähigkeiten, die wir unter „Selbstdisziplin“ zusammengefasst haben. Auch hier hilft es wenig, disziplinierter sein zu wollen oder den Mangel an Disziplin moralisch abzuwerten. Das einzige, das hilft, ist Training dieser Fähigkeiten. Wir sind also nicht faul, sondern wir beherrschen diese Fähigkeit noch nicht. Wenn du Fußballtrainer*in wärst und einem Kind, das sich anstrengt und das Tor trotzdem nicht trifft, Faulheit vorwerfen würdest, dann wäre das eine klare Themaverfehlung. Also warum sollte es angemessen sein, wenn du etwas gerne erreichen möchtest und dir die passende Handlung (Tor schießen, Klausurstoff lernen) fest vornimmst, und es dann aber doch nicht hinbekommmst und auf dem Sofa bleibst, dir dann Faulheit vorzuwerfen?