Du bist nicht faul!

Es gibt keine Faulheit. Wir hören zwar oft: „Ich bin unmotiviert.“ Aber das stimmt so nicht ganz. In Wirklichkeit ist jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt immer zu irgendetwas motiviert. Manchmal bin ich motiviert dazu, auf dem Sofa zu liegen, manchmal motiviert, im Internet zu surfen, aber nicht immer bin ich motiviert, den Klausurstoff zu lernen. Ok, jetzt wirst du vielleicht sagen, dass du genau das doch gemeint hättest. Also übersetzen wir „Ich bin unmotiviert“ in ein präziseres „Ich bin unmotiviert, das zu tun, was ich mir vorgenommen hatte zu tun.“ Jetzt könnte man versucht sein zu sagen: „Da ist sie doch, die Faulheit! Ich sitze faul auf dem Sofa rum, während ich eigentlich was anderes tun wollte.“ Diese Aussage ist aber nicht identisch mit „ich bin zu … nicht motiviert.“ Denn das kleine Wörtchen „faul“ transportiert noch etwas anderes: Da steckt zum einen die Annahme drin, dass es uns an Selbstdisziplin mangele, trotz fehlender Motivation die geplante Handlung umzusetzen, und zum anderen ein Werturteil, dass dieser Mangel an Disziplin außerdem verwerflich sei. Schauen wir uns nun doch mal an, was es mit dieser Selbstdisziplin auf sich hat.

Wir sind immer motiviert – bloß wozu?

Ich glaube, dass wir niemals etwas tun, zu dem wir nicht motiviert sind. Manchmal stehen wir vor einer Aufgabe, die wir nicht tun wollen. Und dann schaffen wir es irgendwie, so mit uns umzugehen, dass wir diese Aufgabe am Ende trotzdem tun. Wir sagen, wir hätten uns einfach gezwungen. Damit wir die Fähigkeit, sich zu überwinden, zu einem Akt der Disziplin, der scheinbar etwas anderes ist, als etwas zu tun, weil wir es wollen. Und genau das stelle ich in Frage. Ich behaupte, dass auch dieser Akt der gefühlten Zwangsausübung bei genauem Hinsehen nichts anderes ist, als uns die nötige Motivation zu verschaffen, eine Aufgabe doch tun zu können. Wir handeln dann eben nicht gegen unsere Motivation, sondern es gelingt uns, Motivation für den ursprünglichen Plan bereitzustellen, wo Minuten vorher noch keine war. Und das zu können, auf Knopfdruck Motivation herzustellen, das bezeichnen wir als Selbstdisziplin.

Was ist eigentlich Selbstdisziplin?

Also wie genau machen wir das dann, dieses „uns überwinden“? Es gibt da ganz unterschiedliche Wege. Die einen führen sich vielleicht vor Augen, was geschieht, wenn sie die gewünschte Handlung nicht ausführen. Die negativen Folgen können, wenn man sie sich direkt vor Augen führt, dann aversive Wirkung entfalten. Gerade so viel, dass man sich sagt „Nein, das will ich nicht!“ Voilà, es ist Motivation entstanden, diese negativen Folgen zu vermeiden und die ursprünglich geplante Handlung doch umzusetzen. Andere Personen motivieren sich besser über positive Zustände. Sie führen sich dann kurz vor Augen, warum es für sie attraktiv ist, die geplante Handlung, zu der sie vor Minuten noch keine Lust verspürt haben, doch umzusetzen. Sie nehmen dann in ihrem Geist die positiven Folgen der Handlungsausführung vorweg und steigern so die Motivation, das eben doch nun umzusetzen.

In anderen Momenten ist es aber gar nicht so sehr die wahrgenommene, mangelnde Attraktivität, die uns von der Handlungsumsetzung abhält, sondern eher der Eindruck, dass diese Aufgabe schwierig werden könnte. Dann hilft es manchmal mehr, sich vor Augen zu führen, dass man in der Vergangenheit solche Aufgaben schon oft gut bewältigt hat oder dass andere, die auch nicht fähiger sind als man selbst, es auch hinbekommen haben.

Es gibt aber auch die gegenteilige Variante: Für viele ist es hilfreich, gerade das Gegenteil zu tun. Nicht länger über mögliche Folgen der Handlung nachzudenken, sondern dieses In-die-Zukunft-Denken abzubrechen und stattdessen die Aufmerksamkeit auf die Handlung selbst zu richten. Wir nehmen in so einem Moment die früher getroffene Entscheidung, dass wir diese Handlung umsetzen wollen, einfach als gesetzt an und konzentrieren uns ganz darauf, den ersten Schritt zu gehen. Durch diese Verschiebung der Aufmerksamkeit schaffen wir dann den Übergang von der Motivationsphase (also der Frage „Was möchte ich tun?“) in die Handlungsphase (also die Umsetzung). Wenn man jemanden fragt, der genau diese Strategie nutzt, dann wird diese Person diesen Prozess vermutlich nicht so genau beschreiben können. Vermutlich bekommt man nur so etwas wie „Ich mache es dann einfach“ zu hören. Aber bei genauer Betrachtung steckt in dieser Aussage eben genau dieser Prozess: Es gelingt mir, meine Aufmerksamkeit von der Frage des Für und Wider abzuziehen und die Aufmerksamkeit stattdessen auf die Ausführung der Handlung zu richten. Dann steht keine Entscheidung mehr zwischen mir und der Handlungsausführung und schon passiert es, dass ich die Handlung tatsächlich anpacke.

Um zum Anfang zurück zu kommen: Selbstdisziplin zu haben, heißt also nichts anderes, als eine der beiden (oder beide) Fähigkeiten zu haben: Entweder ich kann Motivation für eine Handlung wiederherstellen, auch wenn mir diese Motivation zwischenzeitlich mal abhanden gekommen ist. Oder ich kann meine Aufmerksamkeit auf die Ausführung verschieben und damit das Grübeln über die Frage, ob ich es mache oder nicht, beenden. Eine Fähigkeit zu besitzen ist keine Frage von Willen, sondern von Training. Wenn ich als Tänzer ein bestimmte Schrittabfolge tanzen will, dann hilft es wenig, diese Abfolge ganz dringend zu wollen. Was ich tun muss, ist üben. Ich trainiere diese Abfolge so lange, bis sie zuverlässig sitzt. Das gleiche gilt für die Fähigkeiten, die wir unter „Selbstdisziplin“ zusammengefasst haben. Auch hier hilft es wenig, disziplinierter sein zu wollen oder den Mangel an Disziplin moralisch abzuwerten. Das einzige, das hilft, ist Training dieser Fähigkeiten. Wir sind also nicht faul, sondern wir beherrschen diese Fähigkeit noch nicht. Wenn du Fußballtrainer*in wärst und einem Kind, das sich anstrengt und das Tor trotzdem nicht trifft, Faulheit vorwerfen würdest, dann wäre das eine klare Themaverfehlung. Also warum sollte es angemessen sein, wenn du etwas gerne erreichen möchtest und dir die passende Handlung (Tor schießen, Klausurstoff lernen) fest vornimmst, und es dann aber doch nicht hinbekommmst und auf dem Sofa bleibst, dir dann Faulheit vorzuwerfen?

Gute Vorsätze für’s neue Jahr? So klappt’s auch mit der Umsetzung!

Und, wie läuft es mit deinen Vorsätzen? Schon erste Erfolge erzielt oder eher nicht? Viele Menschen haben über den Jahreswechsel etwas Zeit und genug Abstand vom klein-klein des Alltags, so dass sie etwas allgemeiner als sonst über ihr Leben nachdenken können. Und dabei stellen sie fest: „Ich würde gerne etwas ändern!“ So entstehen dann die guten Vorsätze fürs neue Jahr. Mit dem festen Willen, sich auch wirklich an die guten Vorsätze zu halten, und dem Glauben, dass der feste Wille die entscheidende Zutat wäre, die den Unterschied zwischen Erfolg oder Scheitern macht, startet man dann ins neue Jahr. Und wird dann in kürzester Zeit enttäuscht. Trotz bester Absichten ist der Plan schon nach wenigen Wochen (oder Tagen) wieder beim Teufel. Wenn es ganz schlecht läuft, machen wir uns auch noch selbst dafür verantwortlich, dass es nicht geklappt hat. Wir hätten es nicht genug gewollt oder uns nicht genug zusammengerissen. Wir wären einfach zu undiszipliniert und schwach. Ich halte das für einen Trugschluss. Wir haben so gut wie alle die nötige Disziplin. Was aber die wenigsten haben, sind effektive Strategien, wie man gute Vorsätze erfolgreich umsetzt. So ist das Scheitern eines Vorsatzes häufig schon in der Planung der Umsetzung angelegt. Nehmen wir ein klassisches Beispiel: „Ich will mehr Sport machen.“ Dieses Ziel kann jetzt unterschiedlich detailliert geplant werden.

Stufe 1

„Ich will mehr Sport machen“ (und nichts weiter). Diesem Ziel fehlt, außer einer groben Richtungsangabe, so ziemlich alles. Das dürfte den meisten klar sein. Darum gehen wir gleich zur nächsten Stufe.

Stufe 2

„Ich will mehr Sport machen und werde dafür regelmäßig ins Fitnessstudio gehen.“ Schon besser, immerhin ist schon mal spezifiziert, was für Sport geplant wird. Aber das geht besser.

Stufe 3

„Ich will mehr Sport machen. Dazu werde ich mich gleich morgen im Fitnessstudio X bei mir um die Ecke anmelden und dann werde ich 2x die Woche dort trainieren.“ Immerhin, der Ort ist jetzt schon klar, und die grobe Intensität, mit der man das betreiben möchte.

Stufe 4

„Ich will mehr Sport machen. Dazu werde ich mich morgen nach dem Frühstück als erstes auf den Weg zum Fitnessstudio X machen und mich anmelden. Dann werde ich immer dienstags und donnerstags nach der Arbeit dort für eine Stunde trainieren.“ Ah, ein konkreter Wenn-Dann-Plan. Das morgendliche Frühstück ist das erste konkrete Ereignis, das in meinem Plan auftaucht. Dieses Ereignis dient dann als Auslöser für die Handlung „zur Anmeldung gehen“. Der Trainingszeitpunkt sieht ebenfalls schon konkret aus, ist es aber noch nicht, wie wir gleich sehen werden.

Stufe 5

„Ich will mehr Sport machen. Dazu werde ich mich morgen nach dem Frühstück als erstes auf den Weg zum Fitnessstudio X machen und mich anmelden. Dann werde ich immer dienstags und donnerstags auf dem Nachhauseweg von der Arbeit direkt, noch bevor ich nach Hause komme, dort vorbeifahren. Dann werde ich eine Stunde trainieren.“ Besser! Jetzt ist endlich klar, wie genau das Training in meine Routine eingebettet werden soll! Spätestens jetzt hören die meisten mit der Planung auf. Mit diesem Plan sind die Chancen für eine erfolgreiche Umsetzung zwar nicht null. Aber darauf wetten würde ich noch nicht. Also weniger als 50% Erfolgswahrscheinlichkeit. Was wir jetzt noch dringend brauchen, ist die Planung weiterer Unterstützung.

Stufe 6

Damit der obige Plan auch zuverlässig umgesetzt wird, organisiere ich folgende Unterstützung:

  • Erinnerung: Ich brauche mindestens zwei Erinnerungen. Eine, die mich morgens daran erinnert, dass ich meine Sportsachen packen und mit zur Arbeit nehmen muss. Und eine, bevor ich von der Arbeit aufbreche (oder auf dem Weg, wenn der Weg zum Studio und nach Hause ähnlich ist), die verhindert, dass ich wie gewohnt nach Hause fahre. So eine Erinnerung kann z.B. ein großer Zettel in meiner Wohnung/an der Bürotür sein oder eine digitale Erinnerung im Handy.
  • Umfang: Ich würde die geplante Zeit von einer Stunde reduzieren. Aus meiner Sicht ist am Anfang völlig egal, was Trainer sagen, welche Intensität zum Muskelaufbau optimal wäre. Wir sollten uns am Anfang auf den Aufbau von Motivation statt Muskelmasse konzentrieren! Nur ein Training, das auch durchgeführt wird, nützt uns etwas. Also wäre das wichtigste Ziel für die ersten Wochen, eine feste Gewohnheit zu etablieren, die uns ins Fitnessstudio befördert. Egal, wie lange wir dann drin bleiben. Die Dauer zu steigern, können wir später jederzeit ganz leicht. Darum würde ich mal mit 10 Minuten anfangen. Das reicht für eine Handvoll Übungen. Länger bleiben ist erlaubt, aber 10 Minuten ist dann das Muss. Das kann ich auch, wenn ich mich am Abend doch noch mit Freunden treffe, ins Kino will usw. Denn: Es kommt nicht auf die Größe des Schrittes an, sondern auf seine Stabilität. Auf einen gefestigten ersten kleinen Schritt kann ich einen zweiten Schritt und einen dritten Schritt aufbauen. Auf einen wackeligen, nur manchmal funktionierenden großen ersten Schritt folgt normalerweise nichts weiter.
  • Dokumentation deines Fortschritts: Eine ganz entscheidende Unterstützung ist die Methode, sichtbar zu machen und festzuhalten, ob du deine neue Gewohnheit wie geplant umgesetzt hast oder nicht. So entsteht die Verbindlichkeit, die du brauchst, weil es jetzt nicht mehr egal ist, ob ich heute oder morgen ins Fitnessstudio gehe. Die Lücke in meinem Plan wird bleiben. Und Lücken mag ich nicht ;-).
  • Es gibt noch eine Menge weiterer Unterstützungsmöglichkeiten (soziale Unterstützung, mentale Tricks, Umgang mit negativen Gedanken, usw.), über die du dich im kostenlosen Basiskurs informieren kannst.

Jede weitere Unterstützung, die in deinen Plan integriert ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das neue Verhalten zu deiner Gewohnheit wird. Also plane so viel Unterstützung ein wie möglich. Nach dem Prinzip: Minimaler Schritt, maximaler Einsatz.

Ich freue mich, wenn du hier als Kommentar erzählst, wie es mit deinen Vorsätzen so läuft!

Tackle Your Procrastination! Vorsätze wirkungsvoll umsetzen

Sie schieben das Lernen auf eine Klausur vor sich her? Lieber erstmal Instagram checken, bevor es – vielleicht – ans Lernen geht?

Das geht sehr vielen Studierenden so. Aber das muss nicht so sein! Ulmer Medizinstudierende im ersten Semester haben gerade das Glück, an einem außergewöhnlichen Angebot teilhaben zu können. Im Rahmen der „SriAS“-Trainingsstudie können Sie an einer Kombination aus Training und Studie teilnehmen. Im Training „Tackle Your Procrastination! Vorsätze wirkungsvoll umsetzen“ lernen Sie, wie man endlich loslegt, Hemmungen und Blockaden auflöst und während des Lernens zufriedener wird. Das wird durch den systematischen Aufbau neuer Gewohnheiten unterstützt, der im Rahmen des Trainings detailliert geplant und individuell begleitet wird.

Und das Beste? Das Training ist für Teilnehmer*innen kostenfrei! ON TOP: Für die Teilnahme an der Studie (täglich kurze Fragebögen auf einem Smartphone über 1 Woche vor und nach dem Training beantworten) erhalten Sie eine Aufwandsentschädigung von bis zu 50 Euro!

Diese einmalige Chance wird durch das Drittmittelprojekt „SriAS“ realisiert (finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung).

Was heißt „SriAS“? –> Selbstregulation im Alltag von Studierenden (Projektbeschreibung).

Weitere Infos und Anmeldung unter:

martin.greisel (at) phil.uni-augsburg.de
(Betreff: „SriAS-Trainingsstudie“)

 

Und alle anderen? Ihr könnt zwar nicht an dieser Trainingsstudie teilnehmen, aber für euch gibt es zum einen den kostenlosen Kurs hier, zum anderen könnt ihr auch jederzeit ein Einzelcoaching bei mir buchen. Im Frühjahr wird es zudem wieder weitere Gruppenkurse geben (einer für Doktoranden der LMU München und einer für Studierende der UniBW München).

Immer unter Strom

Manchmal wache ich morgens auf, wenn der Wecker klingelt, und stelle fest, dass mein ganzer Körper angespannt ist. Dann lausche ich den letzten Traumfetzen nach, die noch in meinem Kopf hängen, und erkenne, dass ich gerade etwas geträumt hatte, bei dem es darum ging, ganz dringend und unbedingt etwas zu erreichen. Aber es war ungewiss, ob ich das schaffen würde. Und so versuchte ich, durch den Einsatz besonderer Anstrengung das gewünschte Ziel doch noch zu erreichen. Um zu wissen, wo diese Träume herkommen, brauche ich keine psychoanalytische Traumdeutung. Die Parallele zu der Haltung, mit der ich oft durch den Tag gehe, ist einfach zu offensichtlich. Häufig versuche ich, wenn gerade mal wieder besonders viele Aufgaben anstehen, durch eine extra Portion Anstrengung „schneller“ zu arbeiten, d.h. mehr Aufgaben in der gleichen Zeit zu bewältigen. Aber das klappt natürlich nicht, da sich die Art von Arbeit, die ich mache, nicht wirklich beschleunigen lässt. Wenn ich morgens für die S-Bahn zu spät dran bin, dann kann ich rennen statt zu gehen. Z.B. eine E-Mail zu schreiben erfordert hingegen Denken und Tippen. Ich kann auf Kommando aber weder doppelt so schnell denken noch tippen… Und so versuche ich vergeblich, „schneller“ zu arbeiten und lebe dabei in dem Gefühl, ein Wettrennen zu verlieren. Kein Wunder, dass mein Gehirn nachts dann entsprechende Träume produziert…

Statt schon am Frühstückstisch voller Spannung zu sein, würde ich gerne viel lieber ausgeruht und entspannt in den Tag starten. Denn für gewöhnlich erzeugen die Herausforderungen des Tages weitere Spannung. Und Spannung erzeugt Schmerzen. Früher oder später tut irgendetwas weh. Und mittel- und langfristig macht die Spannung krank. Woran das liegt? Ganz einfach: Psychische Spannung geht mit einer Anspannung der Muskulatur einher. Meine Student*innen wissen (hoffentlich ;-)), wie dieser Zusammenhang über Sympathikuserregung und Adrenalinausschüttung vermittelt wird. Hier ist aber erstmal wichtig, woran man diesen Zusammenhang bei sich selbst erkennen kann. Welche Körperstellen als erstes auf eine erhöhte Anspannung reagieren, ist von Mensch zu Mensch etwas verschieden. Ich merke es als erstes an meinen Zehen, die dann nicht einfach locker im Schuh liegen, sondern auf die Sohle nach unten pressen. Und an meiner Kiefermuskulatur. Das ist auch die Stelle, wo es als erstes anfängt, weh zu tun. Die Kieferspannung erzeugt wiederum Druck auf den Ohren, auch so ein sicheres Indiz für innere Anspannung. Und wenn diese Spannung dann noch länger anhält, dann folgt die Nacken- und Rückenmuskulatur. Sind Nacken und Rücken erstmal verkrampft, sind Kopfschmerzen die Folge. Der Endpunkt sind dann Erkältungskrankheiten und chronische Rückenschmerzen…

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was man tun kann. Die Antwort ist: eine Menge. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die folgenden Dinge bei mir selbst helfen. Das heißt nicht, dass ich alles davon anwende, davon bin ich noch weit entfernt. Aber ich arbeite daran, einige Dinge davon immer regelmäßiger umzusetzen.

Zeitmanagement

Zuerst macht es Sinn, sich über die Gestaltung des Arbeitstages selbst Gedanken zu machen. Das läuft gewöhnlich unter dem Begriff Zeitmanagement. In einem früheren Blog-Eintrag habe ich schon mal geschrieben, warum übliche Zeitmanagement-Techniken nicht so sehr gegen Prokrastination helfen. Für das Problem hier aber wurden sie gemacht: Arbeit so gestalten, dass stressfrei das Wichtigste erledigt werden kann.

Die wirksamste und gleichzeitig bitterste Pille ist: weniger machen. Das bedeutet: Ich muss einige meiner Aufgaben streichen bzw. abgeben. Das ist meistens schwer, denn wir sind ja so unersetzlich und die einzigen, die in der Lage sind, diese und jene Aufgabe richtig gut zu bewältigen… Und jedes der Projekte ist doch so spannend und es wert, verfolgt zu werden… Aber leider steigt unser Zeitbudget nicht mit unserer Begeisterungsfähigkeit an. Wir können zwar vieles wichtig und/oder spannend finden, haben aber trotzdem immer nur die selbe Menge an Zeit zur Verfügung.

Wenn die Fülle von Aufgaben ein Stressfaktor ist, dann können wir außerdem versuchen, das Multitasking abzustellen. Jeder Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus bringt Hektik in unser Denken und verursacht das Gefühl, möglichst alles gleichzeitig ganz schnell erledigen zu wollen. Also: Smartphone in den Flugmodus schalten, E-Mail-Benachrichtigungen abschalten, die aktuelle Aufgabe zuerst (wenn möglich) zu Ende bringen, bevor man mit der nächsten Aufgabe beginnt. Am Anfang des Tages einen Plan zu machen, was in welcher Reihenfolge zu bearbeiten ist, hilft ebenfalls enorm. Erstens muss man sich selbst dabei klar werden, welche Aufgabe welche Priorität hat. Damit erzeugt man Unterschiede zwischen den einzelnen Aufgaben. Es sind dann nicht mehr alle Aufgaben gleich wichtig, die entsprechend auch am besten alle gleich jetzt sofort erledigt werden sollten. So nimmt man Druck von seinen Schultern. Zweitens sorgt man mit so einem Plan dafür, dass man nicht mehr alle Aufgaben gleichzeitig im Kopf präsent halten muss. Der Plan ist dann außerhalb von mir festgehalten, meine Aufmerksamkeit kann sich dann allein auf die eine Aufgabe direkt vor mir konzentrieren. Wenn ich fertig bin, sehe ich auf meinen Plan, was als nächstes kommt. Habe ich keinen Plan, so muss ich das schon die ganze Zeit wissen, während ich die erste Aufgabe bearbeite, da ich ja sonst Gefahr laufe, was Wichtiges zu vergessen…

Was ebenfalls ideal wäre: Pausen einlegen. Pausen sind für unseren Organismus das Zeichen, dass ein Schritt geschafft ist, die Aufgabe erfolgreich bewältigt wurde. Dann darf die Spannung nachlassen, da sie nicht mehr gebraucht wird. Wenn ich Pausen mache, sende ich also an meinen Körper das Signal, sich entspannen zu dürfen. Keine Pause heißt, Spannung ist weiterhin gefordert. Pausen werden also gerade dann besonders wichtig, wenn ich eigentlich das Gefühl habe, keine Zeit für Pausen zu haben. Diese Überlegung wird aber schnell zu einem Trugschluss: Ohne Pause laufe ich Gefahr, aufgrund der inneren Hektik auf die Schnelle eine Aufgabe auszuwählen, die vielleicht nicht den effektivsten Fortschritt verspricht. Und dann verliere ich viel Zeit mit dieser Aufgabe, die eigentlich gar nicht sooo wichtig gewesen wäre. Keine Pausen zu machen kann also auch viel Zeit kosten.

Aktive Entspannung

Jenseits der eigentlichen Arbeit kann und sollte ich mich auch um aktive Entspannung bemühen. Das können körperliche Aktivitäten wie Sport oder Spazierengehen sein. Oder du wendest spezifische Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder autogenes Training an. Oder betreibst Meditation, was zur Beruhigung des Geistes natürlich besonders prädestiniert ist. Oder eine Kombination aus alledem wie Yoga oder ähnliches. Fernsehen zählt übrigens nicht dazu. Da wird unser Gehirn ja wieder mit neuem Zeug vollgeladen.

Feierabend

Zuletzt ist auch ein echter Feierabend eine gute Maßnahme. Darunter verstehe ich eine Zeit, zu der klar ist, dass da definitiv nicht mehr gearbeitet wird. Und zwar regelmäßig. Wenn ich abends zuhause nie arbeite, dann weiß auch mein Gehirn das und kann dann entspannen und die Gedanken an die Arbeit loslassen. Wenn ich dagegen abends oder am Wochenende immer oder auch nur öfter noch arbeite, dann ist es nicht mehr klar, wann mein Gehirn die Spannung abbauen und die Aufgaben aus dem Bewusstsein verschwinden lassen darf. Dann stehe ich immer unter Strom.

Jenseits dieser Möglichkeiten fallen dir bestimmt auch noch andere Maßnahmen ein, die dir persönlich schon geholfen haben. Ich würde mich freuen, davon zu hören, wie es um dein Stressniveau bestellt ist und was du so dagegen tust!

Wie wir unseren Umgang mit Fehlern verbessern können

Es passiert ständig: Wir arbeiten an einem wichtigen Projekt, geben uns Mühe, unsere Sache gut zu machen, und trotzdem passiert es. Wir machen einen Fehler. Wir haben vergessen, eine Kleinigkeit zu berücksichtigen, wir haben etwas übersehen, wir haben ein Detail nicht bedacht, wir sind von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen usw. Idealerweise würden wir jetzt zu uns sagen: „Aha, eine interessante Information. Diese werde ich sogleich nutzen, um meine Arbeit an diesem Projekt noch weiter zu verbessern.“ So eine Haltung erzeugt ein positives Fehlerklima. Sie ist gekennzeichnet davon, dass Fehler als wertvolle Rückmeldung angesehen werden, um wieder etwas dazuzulernen.

Was aber stattdessen viel eher passiert, hört sich ungefähr so an: „Oh verdammt, das hätte ich aber wissen müssen. Es ist peinlich, das nicht berücksichtigt zu haben. So ein dummer Fehler. Das darf nicht wieder vorkommen!“ Mit dieser Haltung fällt es uns viel schwerer, uns mit dem Fehler zu beschäftigen und so viel wie möglich aus ihm zu lernen, da wir hauptsächlich damit beschäftigt sind, unseren Selbstwert, dem ein empfindlicher Schlag versetzt wurde, wieder zu stabilisieren. Und dabei hilft es jetzt nicht gerade, mit voller Aufmerksamkeit auf den Schauplatz des eigenen Versagens zu blicken. Darum sehen wir am liebsten gar nicht hin. Wir versuchen, die Sache, so schnell es geht, irgendwie zu bereinigen, so dass es uns selbst bloß möglichst wenig runterziehen möge. Wir müssen den Fehler ein Stück weit verdrängen, weil wir das volle Ausmaß unseres Versagens sonst nicht aushalten könnten. Diese Art von Umgang mit einem Fehler hat also zwei Arten von Kosten: Erstens steht uns ein Teil unserer Ressourcen, der durch Maßnahmen zum Schutz unseres Selbstwerts gebunden ist, nicht zur Bewältigung des Fehlers zu Verfügung. Unsere Aufmerksamkeit ist geteilt. Zweitens können wir zusätzlich nicht maximal von dem Erkenntnisgewinn, den uns der Fehler verschaffen könnte, profitieren, weil wir möglichst wenig davon wissen wollen.

Wenn mir meine eigene Kompetenz und deren Weiterentwicklung wichtig sind, dann ist die erstgenannte, fehlerpositive Haltung der Haltung, die von Versagensgefühlen und Scham geprägt ist, also deutlich überlegen. Was können wir nun tun, um eine positivere Einstellung gegenüber Fehlern zu entwickeln?

Schritt 1: Erkenntnis

Der erste Schritt ist, zu verstehen, welche Ziele diesen Haltungen gegenüber Fehlern zugrunde liegen. Eine fehlerpositive Haltung basiert auf dem Ziel dazuzulernen. Wenn ich meinen status quo verlassen möchte und ich es mag, neue Inhalte in mein Gedächtnis zu integrieren, dann ist mir jeder Fehler willkommen, denn dann weiß ich, wo ich noch dazulernen kann und was genau ich dafür tun kann. Jeder Fehler hilft mir, mein Ziel zu verwirklichen. Wenn ich aber stattdessen scharf darauf bin, eine tolle Leistung zu erzielen, diese vielleicht sogar anderen zeigen zu können oder andere mit meiner Leistung übertrumpfen zu können, dann hat der Fehler eine meinem Ziel zuwider laufende Bedeutung: Durch den Fehler weiß ich, dass ich mein Ziel nicht erreicht habe. Der Fehler stellt einen Rückschlag dar. Er ist Beweis, dass ich keine großartige Leistung gebracht habe, sondern eine mit Mängeln. Wenn ich mich dann auch noch reingehängt hatte und trotzdem diesen Fehler gemacht habe, dann ist der Fehler auch gleichzeitig eine Aussage über meine Fähigkeiten. Dann heißt ein Fehler, dass ich schlecht bin. Kein Wunder, dass ich dann diesen Fehler lieber aus meinem Bewusstsein verdrängen möchte und mich lieber nicht so eingehend damit beschäftigen möchte…

Schritt 2: Prozessfokus auch auf Fehler anwenden

Als zweiter Schritt brauche ich jetzt eine Unterstützung, die mir dabei hilft, fehlerfreundlich reagieren zu können und mich nicht in meinem Selbstwert herabgesetzt zu fühlen. Und genau diese Unterstützung bietet der Prozessfokus! Wenn ich meine Tätigkeit als Prozess sehe und das Ergebnis, das am Ende dieser Tätigkeit steht, nur als beiläufiges Nebenprodukt, dann ist mir automatisch weniger wichtig, ob das Ergebnis schon perfekt ist oder nicht. Ein Fehler und der Umgang damit sind dann lediglich Etappen in meinem Arbeitsprozess. Dabei hilft die Erkenntnis, dass Fehler zu machen und dann zu bewältigen, der schnellste Weg des Fortschritts ist. Es gibt nur einen Weg, Fehler zu vermeiden: Man bleibe genau bei den Tätigkeiten, die man schon perfekt beherrscht und routinemäßig ausführen kann. Man vermeide tunlichst jede Art von Herausforderung und beschäftige sich niemals mit etwas Neuem. Das ist natürlich völlig unattraktiv. Diesen Weg möchte niemand wählen. Unser Gehirn gaukelt uns aber oft vor, dass es noch einen zweiten Weg gäbe: Wenn wir uns nur gut genug anstrengen und konzentrieren würden, dann könnten wir auch bei neuen, unbekannten Tätigkeiten Fehler vermeiden und gleich beim ersten Versuch perfekte Ergebnisse liefern. Aber dieser Weg ist nicht real. Der existiert nur bei super trivialen Aufgaben, wo uns Erfolg oder Misserfolg sowieso egal sind. Frag mal eine Sportlerin, wie viele Male sie eine bestimmte Bewegung üben musste, bis diese relativ (!) fehlerfrei ausgeführt werden kann. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Handballspieler einen bestimmten Wurf ca. 1000 Mal üben müssen, bis dieser zuverlässig funktioniert… Das ist bei mentalen Operationen auch nicht grundsätzlich anders. Also wie oft wirst du eine bestimmte Art von mentalem Problem (z.B. diese Art von Matheaufgabe, diese Art von Literaturarbeit, diese Art von Datenanalyse, etc.) bewältigen müssen, bis du Fehlerfreiheit garantieren kannst?

Schritt 3: Prozessorientiert an der eigenen Haltung gegenüber Fehlern arbeiten

Ok, jetzt hast du schon das Wichtigste geschafft. Vielleicht fasst du nun den Entschluss, den nächsten Fehler willkommen zu heißen und dich nicht in deinem Selbstwert angegriffen zu fühlen. Das ist ehrenwert! Aber mach dir klar, dass das nicht beim ersten Mal klappen wird! Denn auch das Erlernen einer fehlerfreundlichen Haltung ist etwas Neues. Auch diese Lernaufgabe ist prozesshaft zu verstehen und wird über viele Fehler laufen, bis du zuverlässig jeden Fehler, den du machst, toll finden kannst. Auch ich stehe da erst ganz am Anfang. Auch ich fühle mich von konstruktiver Kritik an meiner Arbeit mehr gekränkt als dass ich sagen könnte „yes, wieder was Tolles dazugelernt!“ Aber der Weg lohnt sich!

Zusammenfassung

  1. Konzentriere dich darauf, dazuzulernen statt eine gute Leistung zu erzielen.
  2. Hilf dir dabei, indem du Fehler als Teil eines immer weiter laufenden Prozesses betrachtest, statt sie als Makel an einem Ergebnis zu verstehen.
  3. Gehe auch diese Schritte prozessorientiert an, d.h. erlaube dir auf dem Weg der Veränderung Fehler und Umwege.

„Prozessfokus ist ja schön und gut. Aber wie kann ich ohne Ziele leben?“

Eine Frage wie diese wird in meinen Kursen immer wieder gestellt. Und sie ist sehr verständlich! Meine Kursteilnehmer*innen lernen zum ersten Mal den Unterschied zwischen Ergebnis- und Prozessfokus kennen. Und verstehen, dass ersteres ihnen nicht gut tut. Als nächster Schritt müssen sie sich dann aber mit eben dieser Frage auseinander setzen: Wenn sie keine Ergebnisse mehr anstreben sollen, wie sollen sie dann überhaupt etwas anderes tun als immer nur das zu tun, worauf sie jetzt gerade am meisten Lust haben, wie z.B. Essen, Schlafen etc.? Wie soll ich dann überhaupt noch vom Sofa hoch kommen? So nachvollziehbar dieser Gedankengang ist, so geht er doch am eigentlichen Konzept des Prozessfokus vorbei. Denn dieser Überlegung liegt ein Missverständnis zugrunde.

Es geht nicht darum, keine Ziele zu haben. Es geht darum, die Aufmerksamkeit während zielorientierter Tätigkeit nicht auf das gewünschte Ergebnis zu fokussieren. Ob prozessorientiert oder ergebnisorientiert ist eine Frage der Aufmerksamkeit – keine der Motivation. Letztere bezieht sich auf die Frage, warum wir eine bestimmte Handlung unter all den alternativen Möglichkeiten, die wir in jeder Sekunde hätten, auswählen. Es gibt viele Gründe, warum wir ein Ziel ansteuern. Diese Gründe mögen uns mehr, weniger oder gar nicht bewusst sein. Es mag sein, dass die Erreichung des Ziels uns tatsächlich gut tut. Es kann aber auch sein, dass durch die Zielerreichung unsere wahren Bedürfnisse gar nicht befriedigt werden. All das steht auf einem anderen Blatt. Die Frage nach Prozess- oder Ergebnisfokus stellt sich erst, sobald ich mich zu einer Handlung bzw. für ein Ziel entschieden habe. Aus welchen Gründen auch immer. Sobald ich diese Handlung dann starten möchte, sobald ich Schritte in Richtung des Ziels gehen möchte, genau dann wird es darauf ankommen, worauf ich währenddessen meine Aufmerksamkeit lenke. Wenn ich vor allem das Ergebnis sehe, dann habe ich keine Augen für das Erleben des Weges. Der Weg ist dann nur die Hürde, die mich von meinem Ziel trennt. Die entsprechend möglichst schnell aus dem Weg geräumt werden soll. Was ich dabei übersehe, ist, dass dieser Weg mein Leben ist. Und dieses Leben werde ich nur dann aktiv miterleben, wenn ich meine Aufmerksamkeit nicht auf einen Punkt in der Zukunft richte, sondern in der Gegenwart bleibe und das mit all seinen Facetten wahrnehme, was gerade direkt vor mir liegt.

Wir haben also auch prozessorientiert durchaus weiterhin Ziele. Sie sagen uns weiterhin, welche Richtung wir einschlagen. Aber sie erinnern uns nicht mehr ständig daran, was unbedingt erreicht werden soll. Sondern sind mehr wie ein Kompass, der die grobe Richtung anzeigt, aber nicht wie eine Landkarte, auf der der Zielort eingezeichnet und der Weg dorthin vorgegeben ist. Wir blicken auf den Kompass, um zu sehen, in welche Richtung wir den nächsten Schritt setzen sollen. Wir sehen uns aber nicht ständig Fotos vom Zielort an, während wir durch die Welt streifen.

Das Tagebuch als mächtiges Produktivitätstool

Ein Tagebuch kann ein netter Zeitvertreib oder aber ein mächtiges Produktivitäts- und Entwicklungstool sein. Je nachdem, welche Fragen man sich stellt. Heute möchte ich eine spezielle Variante vorstellen, die weniger ein klassisches „Ich-erzähle-meinem-Tagebuch,-wie-mein-Tag-heute-so-war“-Ding, sondern eher ein hochstrukturiertes Reflexionstool ist.

Meiner Ansicht nach sollten in der Tagesreflexion zwei Aspekte vereint sein: Erstens eine Reflexion des vergangenen Tages und zweitens eine Planung des kommenden Tages. Warum? Die Reflexion dient dazu, aus Erfahrung zu lernen. Wir machen sonst nur zu leicht den Fehler, immer wieder mit der gleichen Planung die gleichen Fehler zu reproduzieren. Wir sind dann wie ein Bäcker, der sich darüber ärgert, dass der Teig nicht ordentlich aufgeht, aber trotzdem immer wieder das gleiche Rezept benutzt. Die Planung wiederum ist wichtig, um aus den mittels Reflexion gewonnenen Erkenntnissen Taten werden zu lassen. Was mache ich morgen anders? Folgende Fragen haben sich meiner Erfahrung nach bewährt:

Reflexion des vergangenen Tages

  • Habe ich heute…
    … die geplanten Tätigkeiten umgesetzt?
    … die geplante Tätigkeiten-Reihenfolge eingehalten?
    … die damit verbundenen Ziele erreicht? (optional, da kein verpflichtender Teil der Planung!)
  • Wie prozessorientiert (was ist das?) war ich vor und während der Tätigkeiten?
  • Was hat gut geklappt, was weniger? Was war der jeweilige Grund dafür?
  • Was könnte ich beim nächsten Mal anders machen?
  • Wie zufrieden war ich heute insgesamt?

Planung des kommenden Tages

Die Planung des kommenden Tages besteht aus mehreren Schritten, die nacheinander zu absolvieren sind:

  1. Liste alle Tätigkeiten auf, die du am kommenden Arbeitstag bearbeiten möchtest.
  2. Ordne diese nach Wichtigkeit und bei ähnlicher Wichtigkeit nach Dringlichkeit, das Wichtigste zuerst.
  3. Streiche die untersten Einträge auf der Liste, bis nur noch 1-3 Tätigkeiten übrig bleiben.
  4. Weise jeder Tätigkeit einen Zeitslot zu: Nach welcher Aktion beginnt die Tätigkeit, wann endet sie wieder? (Maximaldauer festlegen! Zeitbedarf doppelt so hoch ansetzen, wie man ihn für realistisch hält!)

Kommentar und Bewertung

Grundsätzlich: Dieses System dient der Organisation von Tagen, die durch wechselnde Aufgaben und Prioritäten gekennzeichnet sind. Es ist tendenziell ungeeignet für langfristige Aufgaben wie das Anfertigen einer Hausarbeit oder Dissertation. Der Grund dafür ist, dass diese Aufgaben wegen mangelnder Dringlichkeit selten auf Platz 1 der Tagesplanung landen. Diese Art der Tagesplanung ist daher auch für mich selbst als Wissenschaftler und Freiberufler nur in Phasen geeignet, wo ich die langfristigen Tätigkeiten bewusst für eine kurze Episode aussetze, weil so viele notwendige, aber kleinere Aufgaben auf einmal anstehen. Das ist regelmäßig rund um den Start eines neuen Semesters der Fall. Zu anderen Zeiten sollte mein eigener Arbeitsalltag dagegen eher stärker durch feste Gewohnheiten definiert sein, damit die Daueraufgaben (v.a. Schreiben!) ihren festen Platz haben.

Tätigkeiten statt Ergebnisse: Sowohl bei der Reflexion des vergangenen Tages als auch bei der Planung des kommenden Tages finde ich wichtig, Tätigkeiten statt Ergebnisse zu bewerten oder zu planen. Ob ich mit einer Tätigkeit ein bestimmtes Ergebnis erreiche oder nicht, das liegt oft nicht in meiner Macht und ist bei neuen Aufgaben oft nicht sinnvoll abschätzbar. Versucht man hier trotzdem, konkrete Zielzustände zu erreichen, ist Frust programmiert, da die Realität dann oft hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt. Worüber man viel mehr Kontrolle hat, das ist die Dauer, mit der man sich mit einer bestimmten Tätigkeit beschäftigt. Ich kann zwar nicht garantieren, in dieser Zeit etwas Bestimmtes zu erreichen, aber ich kann sehr wohl steuern, ob ich die geplante Zeit auch wirklich in diese Aufgabe investiere. Die Ergebnisse kommen dann früher oder später von ganz alleine.

Reihenfolge statt Uhrzeiten: Ich kann also die Zeit, die mir pro Tag zur Verfügung steht, durchaus anhand meiner Prioritäten auf einzelne Aufgaben verteilen. Naheliegend wäre nun, im Sinne eines Stundenplans feste Zeitblöcke zu definieren, von wann bis wann ich mich jeweils einer Aufgabe widme. Das würde dann z.B. so aussehen: 9-12 Uhr Referat vorbereiten, Mittagessen, 13-16 Uhr Vorlesung nachbereiten, 16-17 Uhr in Bibliothek recherchieren. Erfahrungsgemäß scheitern solche Pläne mit Sicherheit (ausführlich dazu hier). Darum würde ich stattdessen fixe Reihenfolgen definieren statt fixe Uhrzeiten: Ich plane, zuerst, bevor ich irgendetwas anders mache, mein Referat vorzubereiten. Dann gehe ich zum Mittagessen und wenn ich wieder zurück komme, dann nehme ich meine Vorlesungsunterlagen zur Hand und bereite die Inhalte nach. Und wenn ich damit durch bin, dann gehe ich in die Bibliothek und recherchiere dort. Dieser Plan lässt mehr Flexibilität zu, gibt aber durch die Reihenfolge trotzdem vor, dass die Dinge in der Reihe ihrer Priorität bearbeitet werden.

Maximaldauer: Wenn ich nicht genau definiere, von wann bis wann ich was mache, dann besteht natürlich die Gefahr, dass ich mit der ersten Aufgabe anfange und den Rest des Tages gar nichts anderes mehr mache. In vielen Fällen ist das sogar völlig in Ordnung, schließlich steht ja auch die wichtigste Aufgabe an erster Stelle. Wenn das aber nicht so ist, weil die anderen Aufgaben auch wichtig oder vielleicht dringlich sind, dann sollte ich die maximale Zeitdauer festlegen, die ich für die erste Aufgabe aufwenden möchte. So stelle ich sicher, dass noch genug Zeit für den Rest übrig bleibt. Und trotzdem hat mein System dann genug Puffer, falls ich doch mal ein bisschen später anfange, was Wichtiges dazwischen kommt usw.

Zeitbedarf: Falls es mal erforderlich sein sollte, an einem bestimmten Tag eine Aufgabe auch wirklich abzuschließen, ich also hier von meinem Prinzip „nur Tätigkeiten, keine Ergebnisse planen“ abweichen muss, dann sollte ich dafür großzügig Zeit einplanen. Sehr großzügig. Die gängige Empfehlung ist hier, eine realistische Schätzung abzugeben, wie lange das unserer Einschätzung nach dauern wird, und diese Zeitangabe dann zu verdoppeln.

Ritualisierung: Regelmäßig so ein Tagebuch wie dieses hier vorgeschlagene zu führen, ist natürlich eine neue Gewohnheit. Und neue Gewohnheiten einzuführen, ist bekanntlich kein Selbstläufer. Was es dazu braucht, ist ein geeignetes Unterstützungssystem: Wie man eine neue Gewohnheit so einführt, dass man sie auch wirklich durchhält, kannst du hier lernen.

Ich würde mich freuen, wenn du in den Kommentaren über deine Erfahrungen berichtest, solltest du diese oder eine ähnliche Tagebuchvariante ausprobieren!

Bilanz zu „Mein perfekter Bürotag: das Projekt ‚4 Aufgaben parallel'“

Gewohnheitsdokumentation des Projekts „4-Aufgaben-parallel“. Ein Kreuz bedeutet, dass die Gewohnheit an diesem Tag ausgeführt wurde. Das Projekt lief über 3 Wochen, daher bis zu drei Kreuze in einer Zelle.

Vor einigen Wochen habe ich einen Beitrag verfasst, in dem ich beschrieben habe, wie ich in den folgenden drei Wochen meine Arbeitszeit strukturieren und verteilen möchte. Jetzt ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Ich teile diese Bilanz mit dir, weil ich glaube, dass dabei meine Denkweise transparenter wird und du einen Eindruck gewinnst, wie so ein Gewohnheitsprojekt laufen kann und welche Aspekte mir bei der Analyse wichtig sind.

Der Plan ist natürlich hinten und vorne nicht perfekt aufgegangen (siehe Abbildung). Aber das ist nicht entscheidend. Wenn ich heute auf die Verteilung meiner Arbeitszeit in den letzten Wochen zurückblicke, dann bin ich ziemlich zufrieden. Sehen wir uns dazu mal die einzelnen Baustellen an, die ich bearbeitet habe.

Zeitschriftenartikel

Ich habe mich tatsächlich sehr kontinuierlich mit den Inhalten des Zeitschriftenartikels beschäftigt, so dass ich ohne Druck diese Woche eine Zusammenfassung für eine Konferenz einreichen konnte. Davon bin ich ziemlich begeistert, denn das wäre in der Vergangenheit ohne dieses systematische Vorgehen nicht so gelaufen!

Korrektur der Staatsexamen

Ich habe tatsächlich kontinuierlich die Staatsexamen korrigiert. Zwar nicht in dem Umfang, wie es nötig gewesen wäre, nach drei Wochen vollständig durch zu sein. Aber das war auch gar nicht das wichtigste daran. Stattdessen ist es mir gelungen, relativ ohne inneren Kampf sehr weit mit der Korrektur vorangekommen sein. Und das, obwohl die Korrektur eine ziemliche Herausforderung für mich darstellt, da der Anspruch an Gerechtigkeit durch gleichmäßige, objektive Bewertung hier kaum zu realisieren ist. In der Vergangenheit wäre ein solcher Korrekturberg mit solcher Bedeutung für die einzelnen Studierenden ein Grund gewesen, sehr unter der Aufgabe zu leiden und sie immer weiter aufzuschieben. Dieses Mal war das anders. Ich bin vom ersten Moment an, den ich dafür geplant hatte, an die Korrektur ran gegangen und habe mich auch von auftretenden Unsicherheiten nicht beirren lassen. Der entscheidende Erfolg hier ist daher für mich meine erhöhte Lebensqualität während einer Korrekturphase.

Andererseits bin ich auch ein wenig frustriert, weil ich es nicht geschafft habe, meinen ursprünglichen Plan, nun schon fertig zu sein, einzuhalten. Um das zu erreichen, hätte ich früher gegensteuern und die anderen Aufgaben zurückstellen müssen. Das wäre allerdings sehr schade um die Fortschritte bei jenen Aufgaben, die ich nicht missen möchte. Und wenn ich überlege, bei welchen Aufgaben ich lieber in Verzug gerate, dann ist die Entscheidung schon richtig so gewesen. Wenn ich also nichts grundlegend anders hätte machen können, warum bin ich dann unzufrieden? Weil ich das ursprüngliche Ziel weiterhin festhalte, obwohl es von der Realität bereits überholt wurde. Weil es doch so schön gewesen wäre! Ich hatte das Ziel zu Beginn auf Basis einer groben Spekulation über die Zukunft gefasst. Wie lange die Korrektur wirklich dauern wird und welche Vorarbeiten und Schleifen evtl. noch nötig sein werden, das konnte ich mangels Erfahrung noch nicht wissen. Trotzdem behandle ich das Ziel auch im Nachhinein so, als wäre es realistisch gewesen. War es aber nicht (unter den gegebenen Bedingungen und Prioritäten). Ich mache mich unglücklich, weil ich einen Erfolg (längerfristig und kontinuierlich an der Korrektur gearbeitet, ohne den Beginn zu verzögern) als Misserfolg bewerte, weil ich einen willkürlichen Maßstab („bis dann fertig“) für die Erfolgsbewertung heranziehen. Es lohnt sich also, hier das Ziel loszulassen und mir zu sagen: „Nein, ich muss nicht bis heute fertig sein. Ich bin erfolgreich, wenn ich meine Zeit konsequent entsprechend meiner Prioritäten einsetze und keine Zeit ‚vertrödele‘.“

Dissertation

Möglicherweise ist das der Aspekt, der mich am meisten freut: Auch wenn ich nicht so regelmäßig daran arbeiten konnte, wie geplant war, dann bin ich doch sehr froh darüber, dass ich in den Überarbeitungsprozess wieder eingestiegen bin. Ich bin dabei auch ein gutes Stück voran gekommen, so dass ich jetzt sogar das Gefühl habe, wenn ich so weiter mache, in absehbarer Zeit damit fertig zu sein. Die Herausforderung war hier, die Angst vor der Verwirrung und Orientierungslosigkeit („Wo soll ich bei diesen ganzen Baustellen eigentlich anfangen? Oh Gott, der Text ist so riesig, was soll ich da nur als Nächstes tun?“) dadurch auszuhebeln, dass ich mir genau diese Verwirrung ganz explizit erlaubt und als notwendigen Schritt betrachtet habe. So konnte ich mich auf die Frage, wo ich anfangen soll, einlassen, weil ich mir gesagt habe, dass ich mir dafür ganz viel Zeit nehmen darf. Und vermutlich genau deswegen fand ich dann doch überraschend schnell auch immer wieder gute Antworten.

Kodierung

Der Aufwand für die Kodierung entpuppte sich als weniger konstant als gedacht. So konnte ich mehr Zeit für Dissertation und Korrektur verwenden. Das bedeutet auch, dass einige der fehlenden Kreuze in der Gewohnheitsdokumentation (siehe Abbildung) so zu verstehen sind, dass hier für den Moment nichts zu tun war und ich die Zeit dann anderweitig genutzt habe.

Entspannung

Zwischen den einzelnen Arbeitsblöcken meines Tages hatte ich je einmal vormittags und einmal nachmittags eine kurze Pause vorgesehen, in der ich mich aktiv um Entspannung bemühe. Das hat auch sehr gut geklappt und hat gut getan. Danach war ich immer wieder frischer und konzentrierter für die Folgeaufgabe. So hatte ich auch weniger die Tendenz, die kommende Aufgabe noch ein bisschen aufzuschieben und stattdessen was anderes zu machen (Nach dem Motto: „Och nee, nicht jetzt das auch noch, ich brauch‘ erstmal was Lockeres…“). Ich musste mich nach so einer Entspannung nicht mehr für den Beginn der Arbeit an der nächsten Aufgabe überwinden, sondern konnte relativ entspannt oder sogar mit leichter Vorfreude an die nächste Aufgabe ran gehen.

Lockerungsübungen

Neben der Entspannung wollte ich noch in kürzeren Abständen meine Schulter- und Rückenmuskulatur lockern. Das hat grundsätzlich geklappt, allerdings werde ich mir da tatsächlich noch eine etwas genauere Gewohnheit überlegen, da ich oft nur einmal vormittags und einmal nachmittags die Übungen gemacht habe, damit ich mein Kreuz in dem Fortschrittsschema setzen konnte. In Zukunft werde ich hier mit einem Timer arbeiten, um mich regelmäßiger daran zu erinnern. Denn das simple Vergessen war der Grund, warum ich es seltener als gewünscht gemacht hatte. Trotzdem würde ich behaupten, dass zusammen mit den größeren Entspannungspausen meine Rückenschmerzen weniger geworden sind.

Konsequenzen für die Zukunft

Die ganze Analyse wäre nur halb so sinnvoll, wenn ich mir nicht überlegen würde, was ich daraus für die Zukunft lernen kann. Darum nun hier die Konsequenzen, die ich aus diesem Experiment ziehe:

Die zu Beginn formulierte Frage „Klappt das, gleich 4 Projekte zeitgleich voranzutreiben?“ kann aus meiner Sicht mit einem „Ja!“ beantwortet werden. Ich werde in Zukunft definitiv wieder auf diese Weise arbeiten. Aber nicht alles war perfekt. Wie man an meiner Gewohnheitsdokumentation (siehe Abbildung oben) sieht, sind vor allem die Montage und Freitage suboptimal gelaufen. Ich werde deswegen (aber auch wegen eines geänderten Stundenplans im nächsten Semester) an diesen Tagen meinen Arbeitsplatz verlagern, um hier noch strukturierter und damit gewohnheitsmäßiger arbeiten zu können. Was außerdem noch einmal sehr klar geworden ist: Die Gewohnheitsdokumentation hat mich wieder einmal sehr unterstützt, mich zu der geplanten Reihenfolge und den einzelnen Aufgaben zu motivieren. Ohne Schema wäre es definitiv nicht so gelaufen. Darum werde ich das Schema beibehalten und noch um weitere Aspekte, die mir wichtig sind, anreichern. Einer dieser Aspekte, der noch mit auf die Liste kommen wird, ist: „Stelle einen Timer, der dich in regelmäßigen Abständen an eine kurze Lockerung erinnert!“ Ein weiterer Aspekt wird sein, dass ich mir am Abschluss jedes Arbeitstages einen kleinen Fragebogen zur Reflexion meines Arbeitsprozesses vorlegen werde. So möchte ich erreichen, evtl. noch früher gegensteuern zu können, falls die Verteilung der Arbeitszeit an veränderte Prioritäten angepasst werden muss. Welche Fragen das genau sein werden, darüber werde ich in einem späteren Blog-Beitrag schreiben.

Und jetzt bin ich auf die nächsten Wochen gespannt!

Glück ist eine Art des Sehens

Wir streben alle nach Glück. In den USA hat das Recht auf das Streben nach Glück sogar Verfassungsrang. Wir glauben auch zu wissen, wo wir es finden werden: Wenn ich erst diese Klausur geschrieben habe, wenn ich erst das Studium erfolgreich abgeschlossen habe, wenn ich erst „genug“ Geld verdiene, wenn ich erst dieses ewig dauernde Projekt hinter mich gebracht habe, wenn ich endlich eine tolle Frau/Mann gefunden habe, wenn ich erst Kinder und Familie habe, wenn ich erst in einem eigenen Haus wohne, dann… ja was eigentlich? Dann setzt eine Phase ewig währenden Glücks ein? Natürlich nicht. Wir sind ja nicht blöd, wir wissen ja, dass danach dann was anderes kommt, ein neues Projekt, neue Aufgaben, neue Probleme. Das wissen wir einerseits schon. Andererseits glaubt ein Teil von uns eben doch an die Vision von großartiger Glückseligkeit, die einsetzt, sobald wir endlich, endlich das haben, was wir glauben, wovon unser Glück abhängt. Und selbst wenn wir diesen Teil nicht so deutlich sehen können: Wir verhalten uns aber so! Wir leben für ein später, für ein „Ich muss erst noch…“. Auf diese Weise rennen wir durch unser Leben dem vermeintlichen Glück hinterher wie der Esel hinter der Karotte. „Gleich hinter der nächsten Ecke wartet es schon auf mich, das Glück, ich muss erst noch diese Aufgabe abschließen, erst noch diesen Zustand erreichen…“

Nein, so kommen wir niemals an. Weil es keinen Ort gibt, an dem man ankommen könnte. Glück ist kein Ort und kein Zustand. Glück ist eine Art des Sehens. Wenn ich Sehen kann, was für wunderbare Menschen gerade jetzt, in dieser Lebensphase, um mich herum sind? Kann ich sehen, welche Geschenke mir diese Menschen machen? Kann ich sehen, wie viel spannender Erkenntnisgewinn in der Aufgabe steckt, die ich jetzt gerade bearbeite? Kann ich sehen, in welchem relativen Komfort ich lebe? Kann ich spüren, wie angenehm die Sonne auf meiner Haut sich anfühlt? Wie lebendig sich der prasselnde Regen in meinem Gesicht anfühlt? Kann ich schmecken, welche Aromen die Mahlzeit enthält, die ich eben esse? Kann ich den Wert meiner Langeweile erkennen? Kann ich sehen, warum es gut ist, dass mich dieser eine Typ gerade so nervt? Kann ich sehen, inwiefern es toll ist, dass mein Plan gerade eben über den Haufen geworfen wurde, meine Erwartung enttäuscht wurde? Kann ich sehen, warum die Trauer über einen Verlust auch wunderbar ist? Wer das alles sehen kann, der muss nicht mehr nach Glück streben. Der hat das Glück gefunden.

Mein perfekter Bürotag: das Projekt „4 Aufgaben parallel“

Das Ziel

Die nächsten drei Arbeitswochen werden bei mir sehr intensiv: Ich möchte bei vier umfangreichen Projekten (Zeitschriftenartikel schreiben, Staatsexamen korrigieren, Daten kodieren, alten Dissertationstext überarbeiten) zugleich konsequent voran kommen, eines von diesen sogar abschließen. Als fünfte Aufgabe sollte ich dringend während meines Büroalltags etwas für meine Rückengesundheit tun. Zu keinem dieser Projekte habe ich im Moment eine feste Gewohnheit. Die Herausforderung in den nächsten drei Wochen wird also sein, diese Aufgaben hoch zu priorisieren, sie gegen andere Tätigkeiten abzuschirmen und dabei gleichzeitig eine Balance zu finden, so dass alle fünf Aufgaben bearbeitet werden.

Die Maßnahmen

Damit das klappt, muss ich mir was überlegen. Ein Maßnahmenpaket zusammen stellen. Meinen Kurs- und Coachingteilnehmer*innen würde ich empfehlen, sich auf weniger Aufgaben zu konzentrieren. Aber ich selbst habe über die letzten Jahre nun schon einige Erkenntnisse darüber gesammelt habe, wie ich selbst funktioniere. Darum werde ich das Experiment wagen und alle Aufgaben auf einmal anpacken.

Reihenfolge

Was muss ich alles beachten? Ich weiß aus vergangenen Phasen, in denen ich eine neue Gewohnheit eingeführt habe, dass für mich sehr wichtig ist, direkt mit der jeweiligen Aufgabe zu starten und vorher nicht meine E-Mails zu checken (siehe ausführlicher hier). Außerdem muss ich die wichtigen Aufgaben möglichst weit vorne im Tagesablauf ansiedeln, da erfahrungsgemäß die Chance auf Umsetzung dann am höchsten ist. Je länger der Tag dauert, desto höher ist die Chance, dass irgendwas dazwischen kommt. Darum brauche ich eine feste Reihenfolge, in der ich meine Tagesaufgaben bearbeite. Ich starte mit dem Schreiben des Zeitschriftenartikels und gebe dieser Aufgabe die beste Zeit des Tages. Dann folgt die Korrektur der Staatsexamensarbeiten – diese sind zwar für mich persönlich wenig wichtig, es ist allerdings notwendig, die Aufgabe wirklich in drei Wochen fertig zu haben. Darum siedle ich diese Aufgabe weiter vorne am Tag an, als ich es sonst tun würde. Erst danach erlaube ich mir den ersten Mailcheck des Tages. Nach dem Mittagessen dann folgt als erstes die Überarbeitung der Dissertation. Denn das ist diejenige Aufgabe, die zwar nicht eilig ist, aber einen relativ hohen inneren Aufwand erfordert, damit anfangen zu können. Darum nehme ich dafür den Zeitslot nach der Mittagspause als frischer Start. Und erst als letzte feste Aufgabe folgt dann die Kodierung, da ich mich zu dieser aus verschiedenen Gründen am leichtesten motivieren kann. Diese Aufgabe kann ich auch dann noch umsetzen, wenn die Konzentration im Laufe des Tages schon beansprucht wurde. Den Rest des Arbeitstages habe ich dann noch Zeit für alle sonstigen Aufgaben, die noch so anfallen. Den unwichtigen Kleinkram, der aber manchmal trotzdem dringend erledigt werden muss.

Umfang

Als nächstes gilt es, die richtige Balance aus Struktur und Freiheit zu finden. Würde ich die Reihenfolge wie oben nicht festlegen, so bestünde die Gefahr, dass ich mit dem beginnen würde, das mir am leichtesten fällt (hier vermutlich die Kodierung). Dann würde ich mit Mailcheck und Kleinkram weitermachen und die anderen Aufgaben würden sehr wahrscheinlich vollständig unangetastet liegen bleiben. Aber ich darf dieses Reglement auch nicht übertreiben: Stundenpläne à la „von 9:30 bis 11:00 Uhr mache ich X, von 11:00 Uhr bis 12:00 Y, von 12:30 bis zum Essen Z“ haben bei mir noch nie funktioniert. Diese Regel wäre zu starr und würde meinem tatsächlichen Arbeitsprozess nicht gerecht. Wenn ich gerade mitten drin bin im Schreiben, dann möchte ich den Lauf nutzen und noch länger schreiben. Wenn ich aber vorher schon einen natürlichen Endpunkt erreicht habe, dann wechsle ich die Aufgabe schon vorher. Darum definiere ich neben der Reihenfolge nur eine Mindestdauer von 30 Minuten pro Aufgabe. Alles, was über 30 Min hinaus geht, ist für mich dann optional. Das gibt mir die Freiheit, der Eigendynamik der Aufgaben zu folgen, und andererseits aber die Sicherheit, dass alle Aufgaben jeden Tag voran gebracht werden.

Visualisierung

Als letzte Maßnahme ist für mich eine Dokumentation dessen, was ich jeden Tag tue, super wichtig. Eine simple Visualisierung, ob ich meinen Plan eingehalten habe oder nicht, ist für mich das entscheidende Tool, um mich motiviert zu halten, die oben genannten Regeln einzuhalten. Da reicht ein DIN A4-Blatt, auf dem ich die Aufgaben in der gewünschten Reihenfolge aufliste und dann für jeden Tag Spalten mache. In die entstehenden Zellen trage ich dann ein Kreuz ein, wenn ich die 30 Minuten daran gearbeitet habe.

Auf dieses Blatt kommen noch drei weitere Dinge drauf: Ich halte auch fest, ob es mir gelungen ist, den ersten Mailcheck des Tages bis nach den ersten beiden Aufgaben zu verzögern. Außerdem schiebe ich zwischen die Blöcke eine kurze Entspannungsübung im Liegen ein. Das dient zwei Zielen: Ich sammle damit meine Konzentration wieder, um wieder fit für die kommenden Aufgaben zu werden. Und ich entspanne die Muskulatur im Rücken. Als drittes trage ich in mein Schema noch ein, ob ich sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag regelmäßig (so ca. alle 30 Min) aus meinem Bürostuhl aufgestanden bin und mich kurz bewegt habe, um die Schulter- und Rückenmuskulatur zu lockern. Konkret mache ich da, was sich in dem Moment gut anfühlt (Strecken, Dehnen, Beugen, Armkreisen, Liegestütze, Strecksprünge — irgendsowas).

So eine Dokumentation mag sich fast schon albern banal anhören. Aber für mich ist dieser geradezu lächerliche DIN A4-Zettel echt der Bringer! Bei vergangenen Gewohnheitsprojekten habe ich festgestellt, dass es bei mir ohne einfach nicht geht. Und mit meistens unglaublich gut. Diese eine Maßnahme, ziemlich Low-Tech, ist bei mir die Zutat, die zwischen Gelingen und Nicht-Gelingen eines Gewohnheitsprojektes unterscheidet. Das muss bei dir nicht genauso sein, aber einen Versuch ist es wert, oder?

Zusatzregel

Um noch ein bisschen mehr Flexibilität zu haben, lege ich noch die folgende Zusatzregel fest: Die Reihenfolge der Projekte darf an einem Tag auch getauscht werden – aber nur unter der Voraussetzung, dass diese Abweichung von außen veranlasst wurde. Weil ich z.B. einen Termin mit einer Kollegin habe. Akute Unlust oder ähnliches ist allerdings kein Grund, die Reihenfolge zu tauschen ;-).

Ausblick

Nach dieser Planung und einem ersten, positiven Testlauf bin ich nun super gespannt, wie das Projekt „4 Aufgaben parallel“ in den nächsten drei Wochen laufen wird! Ich werde (vermutlich Anfang Oktober) hier Bilanz ziehen.