Warum Zeitmanagement-Techniken bei Prokrastination so schlecht funktionieren

Die Regale in Buchhandlungen sind voll mit Ratgebern, die uns zeigen wollen, wie wir endlich produktiv werden. Darin werden meist Zeitmanagement-Techniken vermittelt, die uns versprechen, in Zukunft unsere Zeit effizient zu nutzen und auf diese Weise zügig voranzukommen. Und wir, geplagt vom ewigen Aufschieben, hoffen, dass da was dran ist und probieren die ein oder andere Empfehlung aus. Und werden relativ zuverlässig enttäuscht. Es hilft nicht. Zu allem Überfluss suggerieren uns diese Ratgeber dann auch noch, dass es allein in unserer Hand liegt, produktiv und erfolgreich, glücklich und zufrieden zu werden. Und so geben wir unserer eigenen Unfähigkeit die Schuld. Wir halten uns für Versager, die nicht mal imstande sind, unsere Probleme in den Griff zu kriegen, obwohl wir genau wüssten, wie.

Was wir nicht wissen: Wir sind einem Missverständnis auf den Leim gegangen. Diese Ratgeber wurden – auch wenn was anderes auf dem Klappentext steht – nicht für unser Problem geschrieben. Wie der Name schon sagt, widmen sich Zeitmanagement-Ratgeber der Frage, wie man seine Zeit am günstigsten nutzt. Sie adressieren das Planungsproblem: Wenn ich vor lauter Aufgaben und to Do’s nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, und ich nicht weiß, wann ich was davon tun soll. Wenn das mein Problem ist, dann kann ich mithilfe von Zeitmanagement-Techniken Ordnung ins Chaos bringen. Sie helfen mir, meine Aufgaben hinsichtlich Wichtigkeit und Dringlichkeit zu ordnen (Eisenhower-Prinzip¹), das Nutzen/Aufwand-Verhältnis von Aufgaben zu vergleichen (ABC-Analyse), die Aufgaben passend zu meiner im Tagesverlauf schwankenden Leistungsfähigkeit zu planen (individuelle Leistungskurve) und bei dieser Planung konkrete Schritte, realistische Dauer und Zeitpuffer zu berücksichtigen (3-W-Regel).

Aber all diese Techniken können nicht den Widerstand beseitigen, den ich gegenüber einer bestimmten Aufgabe empfinde. Da kann ich noch so schön planen, wann genau ich diese Aufgabe bearbeiten will – aversiv bleibt aversiv. Und drum werde ich auch mit akribischer Zeitplanung meine Prokrastination nicht überwinden. Weil Prokrastination kein Planungsproblem ist, sondern im Gegenteil: Prokrastination ist definiert als das bewusste Aufschieben von Tätigkeiten, obwohl ich eben gerade genau weiß, dass ich genau diese Tätigkeit jetzt am besten tun sollte, weil ich sonst langfristig schlechter dran sein werde (Steel, 2007)². Damit ist Prokrastination eben keine Frage guter oder schlechter Planung, sondern eine Frage der Motivation, genau diese Planung umzusetzen oder eben nicht.

Wir können uns durch Planung nicht dazu überreden, etwas umzusetzen, das wir eigentlich gar nicht tun wollen. Es ist nicht so, dass uns die Gründe oder die Zeit fehlen, an die Aufgabe ran zu gehen. Aber wir haben eben auch gute Gründe, die Aufgabe zu vermeiden. Der wichtigste Grund ist die Art und Weise, wie wir an sie herangehen. Die Haltung, mit der wir einer Aufgabe begegnen, entscheidet darüber, ob wir am liebsten wegrennen und etwas anderes machen wollen, oder ob wir uns locker und interessiert der Aufgabe widmen können. Diese Haltung, die ich Prozessorientierung nenne, wird z.B. hier, hier und hier genauer erklärt. Und diese Haltung können wir gezielt verändern. In Phase 1 des Kurses wird zum Beispiel genau das trainiert. Aber auch Meditation oder andere Verfahren, die die Achtsamkeit fördern, zielen darauf ab.


¹ Zeitmanagement-Techniken entnommen aus:
Weisweiler, S., Dirscherl, B., & Braumandl, I. (2013). Zeit- und Selbstmanagement. Ein Trainingsmanual – Module, Methoden, Materialien für Training und Coaching. Heidelberg: Springer.

² Steel, P. (2007). The nature of procrastination: A meta-analytic and theoretical review of quintessential self-regulatory failure. Psychological Bulletin, 133(1), 65–94. https://doi.org/10.1037/0033-2909.133.1.65