Ich habe doch keine Angst vor einer Aufgabe!

„Ich doch nicht. Ich bin ein selbstbewusster Typ und kann das schon. Wieso sollte ich davor Angst haben, diesen Zeitschriftenartikel zu schreiben? Da ist doch gar nichts gefährliches dran.“ So ähnlich könnte deine Reaktion ausfallen, wenn ich dir sage: Du schiebst deine Aufgaben auf, weil du Angst hast. Du entgegnest vielleicht: „Nein, Angst ist das nicht. Ich habe nur einfach keinen Bock auf die Aufgabe.“ Damit wir uns hier richtig verstehen, ein Wort dazu, was ich hier unter dem Gefühl Angst verstehe. Viele Menschen haben einen relativ hohe Schwelle, die ein Gefühl in seiner Intensität überschreiten muss, damit sie diese Empfindung als Gefühl bezeichnen. Erst, wenn sie stocksauer sind und ihnen nach Rumschreien zumute ist, würden sie ihren Zustand als „wütend“ beschreiben. Oder erst, wenn sie schwitzen, schnell atmen, ihr Herz laut pocht und ihre Gedanken die ganze Zeit eine Katastrophe heraufziehen sehen und sie an nichts anderes mehr denken können, würden sie diese Empfindung als Angst bezeichnen. Aber so ein leises Gefühl der Unlust, das aufkommt, in dem Moment, in dem man an eine wichtige Aufgabe denkt – das ist doch keine Emotion, oder doch? Ich würde sagen: Doch. Es ist sinnvoll, hier genau hinzusehen, denn das ermöglicht uns, viel aktiver damit umzugehen als bisher.

Also nehmen wir dieses Gefühl der Unlust vor einer Aufgabe mal auseinander. Zuerst ein Blick auf die Aufgabe selbst: Welche Eigenschaften der Aufgabe sorgen dafür, dass wir ihr gegenüber Unlust empfinden? Meistens sind es die wichtigen Aufgaben, die wir aufschieben. Gerade die Wichtigkeit scheint die Unlust, an eine Aufgabe herangehen zu wollen, zu vergrößern. Auf den ersten Blick paradox. Dann wäre da noch, dass Aufgaben unangenehm sind, wenn sie vage und unklar definiert sind. Wenn ich nicht genau weiß, wo ich anfangen soll, welche Handlungen ich zur Bewältigung benötige und worauf genau das ganze hinauslaufen soll, dann finde ich die Aufgabe auch eher unangenehm und mache lieber etwas anderes. Und dann gibt es da noch die Aufgaben, von denen ich zwar weiß, was genau ich zu tun habe, aber auch weiß, dass ich dabei keine Freude oder Interesse empfinden werde. Solche Aufgaben würde ich ebenfalls am liebsten vermeiden. Aber woher weiß ich eigentlich, dass eine Aufgabe unangenehm ist?

Vielleicht hast du selbst schon mal beobachtet, dass du total Lust auf etwas hattest, dir dann einen Plan gemacht hast, wie du das neue, tolle Projekt angehen möchtest und dann, in dem Moment, wo du dir vorgenommen hattest, was du zu tun hast, war die Aufgabe plötzlich unangenehm. Die Aufgabe hat hier eine aufschlussreiche Metamorphose durchgemacht: Zuerst total attraktiv, dann auf einmal unattraktiv. In Wirklichkeit hat sich die Aufgabe selbst natürlich nicht verändert. Die nötigen Handgriffe und Denkschritte sind die gleichen geblieben. Was sich verändert hat, ist deine Bewertung dieser Aufgabe. Deine Perspektive, aus der heraus du auf die Aufgabe blickst, hat sich verschoben. Und damit kommst du, bei Betrachtung von ein und derselben Aufgabe, zu unterschiedlichen Schlüssen. Wie du die Aufgabe findest, hängt davon ab, was du gerade willst und wie du diese Aufgabe angehst.

Damit haben wir den Schlüssel zum Verständnis, warum wir manche Aufgaben als unangenehm empfinden. In dem Moment, in dem wir eine Aufgabe wichtig finden, ist uns das Ergebnis, das wir bei dieser Aufgabe erzielen, nicht mehr egal. Wir wollen dann eine Leistung bestimmter Qualität erreichen. Und genau dieser Wille ist das Einfallstor für die Angst. Warum das? Wir neigen dazu, aus diesem Willen einen Anspruch zu machen. Wir finden es nicht nur gut, wenn wir eine gute Leistung erzielen, sondern wir sollen dann eine gute Leistung erzielen. Aus dem „Ich hätte gerne“ ist dann ein „ich muss unbedingt“ geworden. In dem Moment aber, in dem wir eine gute Leistung erbringen müssen, wird die Möglichkeit, dass wir einen Fehler machen könnten und die Leistung vielleicht nicht ganz so gut ausfällt, zum Problem. Dann dürfen wir keinen Fehler mehr machen. Wenn aber realistischerweise eben doch eine gewisse Chance besteht, nicht alles auf Anhieb perfekt hinzubekommen, dann entwickeln wir zwangsläufig Angst. Wie auch sonst? Etwas, was uns ganz wichtig ist („keine Fehler machen“), ist realistisch bedroht („es besteht durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen“). Das natürliche Gefühl unter diesen Bedingungen ist Angst. Und die mit Angst einhergehende Verhaltenstendenz ist Vermeidung. Wir vermeiden also diese Aufgabe, weil wir dort einen Fehler machen könnten, was aber auf keinen Fall passieren darf. Dieses Konglomerat von Bewertung, Gefühl und Verhaltenstendenz empfinden wir als Unlust. Denn meist ist das keine krachende Panik, die mit Pauken und Trompeten zur Flucht bläst, sondern ein leises Gefühl des „ach komm, ich habe da gerade keine Lust drauf, lassen wir das“. Mit der Folge, dass wir uns von der Aufgabe abwenden. Das ist keine Schwäche, denn uns bleibt ja gar nichts anderes übrig… zumindest so lange nicht, wie dieser Anspruch, keine Fehler machen zu dürfen, unverändert bestehen bleibt. Und genau hier setzt eine Übung an, mit deren Hilfe man die Angst in Situationen wie dieser reduzieren kann, indem man die Verbindlichkeit des Anspruchs lockert (siehe auch diesen Artikel). Diese Übung zum Loslassen ist Teil des Kurses und wird dort ausführlich erklärt und geübt.

Autor: Martin

Psychologe, Wissenschaftler, freiberuflicher Trainer & Coach

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