Das Tagebuch als mächtiges Produktivitätstool

Ein Tagebuch kann ein netter Zeitvertreib oder aber ein mächtiges Produktivitäts- und Entwicklungstool sein. Je nachdem, welche Fragen man sich stellt. Heute möchte ich eine spezielle Variante vorstellen, die weniger ein klassisches „Ich-erzähle-meinem-Tagebuch,-wie-mein-Tag-heute-so-war“-Ding, sondern eher ein hochstrukturiertes Reflexionstool ist.

Meiner Ansicht nach sollten in der Tagesreflexion zwei Aspekte vereint sein: Erstens eine Reflexion des vergangenen Tages und zweitens eine Planung des kommenden Tages. Warum? Die Reflexion dient dazu, aus Erfahrung zu lernen. Wir machen sonst nur zu leicht den Fehler, immer wieder mit der gleichen Planung die gleichen Fehler zu reproduzieren. Wir sind dann wie ein Bäcker, der sich darüber ärgert, dass der Teig nicht ordentlich aufgeht, aber trotzdem immer wieder das gleiche Rezept benutzt. Die Planung wiederum ist wichtig, um aus den mittels Reflexion gewonnenen Erkenntnissen Taten werden zu lassen. Was mache ich morgen anders? Folgende Fragen haben sich meiner Erfahrung nach bewährt:

Reflexion des vergangenen Tages

  • Habe ich heute…
    … die geplanten Tätigkeiten umgesetzt?
    … die geplante Tätigkeiten-Reihenfolge eingehalten?
    … die damit verbundenen Ziele erreicht? (optional, da kein verpflichtender Teil der Planung!)
  • Wie prozessorientiert (was ist das?) war ich vor und während der Tätigkeiten?
  • Was hat gut geklappt, was weniger? Was war der jeweilige Grund dafür?
  • Was könnte ich beim nächsten Mal anders machen?
  • Wie zufrieden war ich heute insgesamt?

Planung des kommenden Tages

Die Planung des kommenden Tages besteht aus mehreren Schritten, die nacheinander zu absolvieren sind:

  1. Liste alle Tätigkeiten auf, die du am kommenden Arbeitstag bearbeiten möchtest.
  2. Ordne diese nach Wichtigkeit und bei ähnlicher Wichtigkeit nach Dringlichkeit, das Wichtigste zuerst.
  3. Streiche die untersten Einträge auf der Liste, bis nur noch 1-3 Tätigkeiten übrig bleiben.
  4. Weise jeder Tätigkeit einen Zeitslot zu: Nach welcher Aktion beginnt die Tätigkeit, wann endet sie wieder? (Maximaldauer festlegen! Zeitbedarf doppelt so hoch ansetzen, wie man ihn für realistisch hält!)

Kommentar und Bewertung

Grundsätzlich: Dieses System dient der Organisation von Tagen, die durch wechselnde Aufgaben und Prioritäten gekennzeichnet sind. Es ist tendenziell ungeeignet für langfristige Aufgaben wie das Anfertigen einer Hausarbeit oder Dissertation. Der Grund dafür ist, dass diese Aufgaben wegen mangelnder Dringlichkeit selten auf Platz 1 der Tagesplanung landen. Diese Art der Tagesplanung ist daher auch für mich selbst als Wissenschaftler und Freiberufler nur in Phasen geeignet, wo ich die langfristigen Tätigkeiten bewusst für eine kurze Episode aussetze, weil so viele notwendige, aber kleinere Aufgaben auf einmal anstehen. Das ist regelmäßig rund um den Start eines neuen Semesters der Fall. Zu anderen Zeiten sollte mein eigener Arbeitsalltag dagegen eher stärker durch feste Gewohnheiten definiert sein, damit die Daueraufgaben (v.a. Schreiben!) ihren festen Platz haben.

Tätigkeiten statt Ergebnisse: Sowohl bei der Reflexion des vergangenen Tages als auch bei der Planung des kommenden Tages finde ich wichtig, Tätigkeiten statt Ergebnisse zu bewerten oder zu planen. Ob ich mit einer Tätigkeit ein bestimmtes Ergebnis erreiche oder nicht, das liegt oft nicht in meiner Macht und ist bei neuen Aufgaben oft nicht sinnvoll abschätzbar. Versucht man hier trotzdem, konkrete Zielzustände zu erreichen, ist Frust programmiert, da die Realität dann oft hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt. Worüber man viel mehr Kontrolle hat, das ist die Dauer, mit der man sich mit einer bestimmten Tätigkeit beschäftigt. Ich kann zwar nicht garantieren, in dieser Zeit etwas Bestimmtes zu erreichen, aber ich kann sehr wohl steuern, ob ich die geplante Zeit auch wirklich in diese Aufgabe investiere. Die Ergebnisse kommen dann früher oder später von ganz alleine.

Reihenfolge statt Uhrzeiten: Ich kann also die Zeit, die mir pro Tag zur Verfügung steht, durchaus anhand meiner Prioritäten auf einzelne Aufgaben verteilen. Naheliegend wäre nun, im Sinne eines Stundenplans feste Zeitblöcke zu definieren, von wann bis wann ich mich jeweils einer Aufgabe widme. Das würde dann z.B. so aussehen: 9-12 Uhr Referat vorbereiten, Mittagessen, 13-16 Uhr Vorlesung nachbereiten, 16-17 Uhr in Bibliothek recherchieren. Erfahrungsgemäß scheitern solche Pläne mit Sicherheit (ausführlich dazu hier). Darum würde ich stattdessen fixe Reihenfolgen definieren statt fixe Uhrzeiten: Ich plane, zuerst, bevor ich irgendetwas anders mache, mein Referat vorzubereiten. Dann gehe ich zum Mittagessen und wenn ich wieder zurück komme, dann nehme ich meine Vorlesungsunterlagen zur Hand und bereite die Inhalte nach. Und wenn ich damit durch bin, dann gehe ich in die Bibliothek und recherchiere dort. Dieser Plan lässt mehr Flexibilität zu, gibt aber durch die Reihenfolge trotzdem vor, dass die Dinge in der Reihe ihrer Priorität bearbeitet werden.

Maximaldauer: Wenn ich nicht genau definiere, von wann bis wann ich was mache, dann besteht natürlich die Gefahr, dass ich mit der ersten Aufgabe anfange und den Rest des Tages gar nichts anderes mehr mache. In vielen Fällen ist das sogar völlig in Ordnung, schließlich steht ja auch die wichtigste Aufgabe an erster Stelle. Wenn das aber nicht so ist, weil die anderen Aufgaben auch wichtig oder vielleicht dringlich sind, dann sollte ich die maximale Zeitdauer festlegen, die ich für die erste Aufgabe aufwenden möchte. So stelle ich sicher, dass noch genug Zeit für den Rest übrig bleibt. Und trotzdem hat mein System dann genug Puffer, falls ich doch mal ein bisschen später anfange, was Wichtiges dazwischen kommt usw.

Zeitbedarf: Falls es mal erforderlich sein sollte, an einem bestimmten Tag eine Aufgabe auch wirklich abzuschließen, ich also hier von meinem Prinzip „nur Tätigkeiten, keine Ergebnisse planen“ abweichen muss, dann sollte ich dafür großzügig Zeit einplanen. Sehr großzügig. Die gängige Empfehlung ist hier, eine realistische Schätzung abzugeben, wie lange das unserer Einschätzung nach dauern wird, und diese Zeitangabe dann zu verdoppeln.

Ritualisierung: Regelmäßig so ein Tagebuch wie dieses hier vorgeschlagene zu führen, ist natürlich eine neue Gewohnheit. Und neue Gewohnheiten einzuführen, ist bekanntlich kein Selbstläufer. Was es dazu braucht, ist ein geeignetes Unterstützungssystem: Wie man eine neue Gewohnheit so einführt, dass man sie auch wirklich durchhält, kannst du hier lernen.

Ich würde mich freuen, wenn du in den Kommentaren über deine Erfahrungen berichtest, solltest du diese oder eine ähnliche Tagebuchvariante ausprobieren!

Bilanz zu „Mein perfekter Bürotag: das Projekt ‚4 Aufgaben parallel'“

Gewohnheitsdokumentation des Projekts „4-Aufgaben-parallel“. Ein Kreuz bedeutet, dass die Gewohnheit an diesem Tag ausgeführt wurde. Das Projekt lief über 3 Wochen, daher bis zu drei Kreuze in einer Zelle.

Vor einigen Wochen habe ich einen Beitrag verfasst, in dem ich beschrieben habe, wie ich in den folgenden drei Wochen meine Arbeitszeit strukturieren und verteilen möchte. Jetzt ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Ich teile diese Bilanz mit dir, weil ich glaube, dass dabei meine Denkweise transparenter wird und du einen Eindruck gewinnst, wie so ein Gewohnheitsprojekt laufen kann und welche Aspekte mir bei der Analyse wichtig sind.

Der Plan ist natürlich hinten und vorne nicht perfekt aufgegangen (siehe Abbildung). Aber das ist nicht entscheidend. Wenn ich heute auf die Verteilung meiner Arbeitszeit in den letzten Wochen zurückblicke, dann bin ich ziemlich zufrieden. Sehen wir uns dazu mal die einzelnen Baustellen an, die ich bearbeitet habe.

Zeitschriftenartikel

Ich habe mich tatsächlich sehr kontinuierlich mit den Inhalten des Zeitschriftenartikels beschäftigt, so dass ich ohne Druck diese Woche eine Zusammenfassung für eine Konferenz einreichen konnte. Davon bin ich ziemlich begeistert, denn das wäre in der Vergangenheit ohne dieses systematische Vorgehen nicht so gelaufen!

Korrektur der Staatsexamen

Ich habe tatsächlich kontinuierlich die Staatsexamen korrigiert. Zwar nicht in dem Umfang, wie es nötig gewesen wäre, nach drei Wochen vollständig durch zu sein. Aber das war auch gar nicht das wichtigste daran. Stattdessen ist es mir gelungen, relativ ohne inneren Kampf sehr weit mit der Korrektur vorangekommen sein. Und das, obwohl die Korrektur eine ziemliche Herausforderung für mich darstellt, da der Anspruch an Gerechtigkeit durch gleichmäßige, objektive Bewertung hier kaum zu realisieren ist. In der Vergangenheit wäre ein solcher Korrekturberg mit solcher Bedeutung für die einzelnen Studierenden ein Grund gewesen, sehr unter der Aufgabe zu leiden und sie immer weiter aufzuschieben. Dieses Mal war das anders. Ich bin vom ersten Moment an, den ich dafür geplant hatte, an die Korrektur ran gegangen und habe mich auch von auftretenden Unsicherheiten nicht beirren lassen. Der entscheidende Erfolg hier ist daher für mich meine erhöhte Lebensqualität während einer Korrekturphase.

Andererseits bin ich auch ein wenig frustriert, weil ich es nicht geschafft habe, meinen ursprünglichen Plan, nun schon fertig zu sein, einzuhalten. Um das zu erreichen, hätte ich früher gegensteuern und die anderen Aufgaben zurückstellen müssen. Das wäre allerdings sehr schade um die Fortschritte bei jenen Aufgaben, die ich nicht missen möchte. Und wenn ich überlege, bei welchen Aufgaben ich lieber in Verzug gerate, dann ist die Entscheidung schon richtig so gewesen. Wenn ich also nichts grundlegend anders hätte machen können, warum bin ich dann unzufrieden? Weil ich das ursprüngliche Ziel weiterhin festhalte, obwohl es von der Realität bereits überholt wurde. Weil es doch so schön gewesen wäre! Ich hatte das Ziel zu Beginn auf Basis einer groben Spekulation über die Zukunft gefasst. Wie lange die Korrektur wirklich dauern wird und welche Vorarbeiten und Schleifen evtl. noch nötig sein werden, das konnte ich mangels Erfahrung noch nicht wissen. Trotzdem behandle ich das Ziel auch im Nachhinein so, als wäre es realistisch gewesen. War es aber nicht (unter den gegebenen Bedingungen und Prioritäten). Ich mache mich unglücklich, weil ich einen Erfolg (längerfristig und kontinuierlich an der Korrektur gearbeitet, ohne den Beginn zu verzögern) als Misserfolg bewerte, weil ich einen willkürlichen Maßstab („bis dann fertig“) für die Erfolgsbewertung heranziehen. Es lohnt sich also, hier das Ziel loszulassen und mir zu sagen: „Nein, ich muss nicht bis heute fertig sein. Ich bin erfolgreich, wenn ich meine Zeit konsequent entsprechend meiner Prioritäten einsetze und keine Zeit ‚vertrödele‘.“

Dissertation

Möglicherweise ist das der Aspekt, der mich am meisten freut: Auch wenn ich nicht so regelmäßig daran arbeiten konnte, wie geplant war, dann bin ich doch sehr froh darüber, dass ich in den Überarbeitungsprozess wieder eingestiegen bin. Ich bin dabei auch ein gutes Stück voran gekommen, so dass ich jetzt sogar das Gefühl habe, wenn ich so weiter mache, in absehbarer Zeit damit fertig zu sein. Die Herausforderung war hier, die Angst vor der Verwirrung und Orientierungslosigkeit („Wo soll ich bei diesen ganzen Baustellen eigentlich anfangen? Oh Gott, der Text ist so riesig, was soll ich da nur als Nächstes tun?“) dadurch auszuhebeln, dass ich mir genau diese Verwirrung ganz explizit erlaubt und als notwendigen Schritt betrachtet habe. So konnte ich mich auf die Frage, wo ich anfangen soll, einlassen, weil ich mir gesagt habe, dass ich mir dafür ganz viel Zeit nehmen darf. Und vermutlich genau deswegen fand ich dann doch überraschend schnell auch immer wieder gute Antworten.

Kodierung

Der Aufwand für die Kodierung entpuppte sich als weniger konstant als gedacht. So konnte ich mehr Zeit für Dissertation und Korrektur verwenden. Das bedeutet auch, dass einige der fehlenden Kreuze in der Gewohnheitsdokumentation (siehe Abbildung) so zu verstehen sind, dass hier für den Moment nichts zu tun war und ich die Zeit dann anderweitig genutzt habe.

Entspannung

Zwischen den einzelnen Arbeitsblöcken meines Tages hatte ich je einmal vormittags und einmal nachmittags eine kurze Pause vorgesehen, in der ich mich aktiv um Entspannung bemühe. Das hat auch sehr gut geklappt und hat gut getan. Danach war ich immer wieder frischer und konzentrierter für die Folgeaufgabe. So hatte ich auch weniger die Tendenz, die kommende Aufgabe noch ein bisschen aufzuschieben und stattdessen was anderes zu machen (Nach dem Motto: „Och nee, nicht jetzt das auch noch, ich brauch‘ erstmal was Lockeres…“). Ich musste mich nach so einer Entspannung nicht mehr für den Beginn der Arbeit an der nächsten Aufgabe überwinden, sondern konnte relativ entspannt oder sogar mit leichter Vorfreude an die nächste Aufgabe ran gehen.

Lockerungsübungen

Neben der Entspannung wollte ich noch in kürzeren Abständen meine Schulter- und Rückenmuskulatur lockern. Das hat grundsätzlich geklappt, allerdings werde ich mir da tatsächlich noch eine etwas genauere Gewohnheit überlegen, da ich oft nur einmal vormittags und einmal nachmittags die Übungen gemacht habe, damit ich mein Kreuz in dem Fortschrittsschema setzen konnte. In Zukunft werde ich hier mit einem Timer arbeiten, um mich regelmäßiger daran zu erinnern. Denn das simple Vergessen war der Grund, warum ich es seltener als gewünscht gemacht hatte. Trotzdem würde ich behaupten, dass zusammen mit den größeren Entspannungspausen meine Rückenschmerzen weniger geworden sind.

Konsequenzen für die Zukunft

Die ganze Analyse wäre nur halb so sinnvoll, wenn ich mir nicht überlegen würde, was ich daraus für die Zukunft lernen kann. Darum nun hier die Konsequenzen, die ich aus diesem Experiment ziehe:

Die zu Beginn formulierte Frage „Klappt das, gleich 4 Projekte zeitgleich voranzutreiben?“ kann aus meiner Sicht mit einem „Ja!“ beantwortet werden. Ich werde in Zukunft definitiv wieder auf diese Weise arbeiten. Aber nicht alles war perfekt. Wie man an meiner Gewohnheitsdokumentation (siehe Abbildung oben) sieht, sind vor allem die Montage und Freitage suboptimal gelaufen. Ich werde deswegen (aber auch wegen eines geänderten Stundenplans im nächsten Semester) an diesen Tagen meinen Arbeitsplatz verlagern, um hier noch strukturierter und damit gewohnheitsmäßiger arbeiten zu können. Was außerdem noch einmal sehr klar geworden ist: Die Gewohnheitsdokumentation hat mich wieder einmal sehr unterstützt, mich zu der geplanten Reihenfolge und den einzelnen Aufgaben zu motivieren. Ohne Schema wäre es definitiv nicht so gelaufen. Darum werde ich das Schema beibehalten und noch um weitere Aspekte, die mir wichtig sind, anreichern. Einer dieser Aspekte, der noch mit auf die Liste kommen wird, ist: „Stelle einen Timer, der dich in regelmäßigen Abständen an eine kurze Lockerung erinnert!“ Ein weiterer Aspekt wird sein, dass ich mir am Abschluss jedes Arbeitstages einen kleinen Fragebogen zur Reflexion meines Arbeitsprozesses vorlegen werde. So möchte ich erreichen, evtl. noch früher gegensteuern zu können, falls die Verteilung der Arbeitszeit an veränderte Prioritäten angepasst werden muss. Welche Fragen das genau sein werden, darüber werde ich in einem späteren Blog-Beitrag schreiben.

Und jetzt bin ich auf die nächsten Wochen gespannt!