Jeder ist mit Aufgaben konfrontiert, deren Erledigung erstmal keinen Spaß machen, vielleicht langweilig sind. Nehmen wir z.B. Geschirrspülen, Staubsaugen, Einkaufen oder die ungeliebte Vorlesung. Das faszinierende daran ist, dass auch hier wieder gilt, dass die Eigenschaften der Aufgabe kein bisschen vorhersagen, inwiefern sie als spannend, angenehm oder langweilig erlebt werden. Es gibt genug Leute, die z.B. das Staubsaugen der Wohnung als entspannenden, meditativen Akt erleben. Andere hingegen ärgern sich über diese Aufgabe, schieben sie hinaus, so lange es geht und ringen sich dann dazu durch, das Staubsaugen möglichst schnell hinter sich zu bringen. Das Ergebnis dieser Haltung ist dann Stress und Unzufriedenheit und am Ende des Tages der Eindruck – falls noch mehr Aufgaben so erledigt wurden -, nichts wirklich Sinnvolles geschafft zu haben.
Wie erklärt sich nun dieser Unterschied? Warum findet das der eine angenehm und die andere nicht? Genetische Prädisposition zum Staubsaugen als Erklärung wollen wir jetzt mal ausschließen, schließlich ist kaum zu erwarten, dass in der Menschheitsgeschichte über einen längeren Zeitraum hinweg ein Selektionsdruck in Richtung Staubsaugepräferenz gewirkt haben sollte… ;-). Also muss es wohl die Art sein, wie der einzelne die Aufgabe Staubsaugen betrachtet. Für die eine ein notwendiges Übel, für den anderen angenehme Gelegenheit zum Abschalten und Relaxen. Daraus können wir eine erste Übung ableiten:
Wenn du das nächste Mal vor einer Aufgabe stehst, die du langweilig findest und darum so schnell wie möglich hinter dich bringen möchtest, dann mache dir bewusst: Irgendwo auf dieser Welt wird es mindestens einen Menschen geben (vielleicht kennst du sogar einen?), der diese Aufgabe angenehm findet. Versetze dich in dessen Lage! Stelle dir vor, diese Person würde jetzt gerade das tun, was du gerade tust. Warum findet sie diese Aufgabe wohl angenehm? Welche Bedürfnisse kann sie mit dieser Aufgabe befriedigen? Wie gelingt es ihr, Interesse oder Geistesruhe dabei zu empfinden?
Zu dieser Übung passt als Inspiration folgende Geschichte von Anthony de Mello (im Herder Verlag erschienen) (sinngemäß wiedergegeben):
Der Meister betonte oft die Wichtigkeit täglicher Meditationspraxis und lobte deren positive Wirkung. Dennoch trafen ihn seine Schüler nur selten an, wie er in Meditation versunken saß. Auf diesen Widerspruch angesprochen, entgegnete er: „Man braucht die Meditation nicht zu unterbrechen, nur weil man sich einer Aufgabe widmet.“
Für den Anfänger bieten sich gerade die eintönigen, einfachen Aufgaben an, die die Tendenz dazu haben, langweilig zu sein, um dieses Konzept zu üben: Meditation während der Arbeit. Im Unterschied zur sitzenden Meditation, in der man z.B. auf seinen ein- und ausfließenden Atem achtet, konzentriert man sich beim Staubsaugen oder Bügeln z.B. auf die gleitenden Bewegungen der Saugdüse über den Boden.
Eine interessante Parallele sehe ich in Tee-Zeremonien aus dem Zen: Dort gibt es sehr ausgefeilte Rituale mit genau abgezirkelten Abläufen, wie der Tee zubereitet, serviert und getrunken wird. Doch was hat das eigentlich für einen Sinn, eine triviale Tätigkeit so zu reglementieren? Die Idee dahinter ist, durch die Ritualisierung von solchen Alltagstätigkeiten einen Anker für die eigene Aufmerksamkeit zu haben, der dabei hilft, genau in der Gegenwart zu bleiben und sich auf die Ausführung der einzelnen Bewegungen zu konzentrieren. So etwas könnte ich mir auch bei Haushaltstätigkeiten gut vorstellen. Eine reduzierte Variante wäre z.B., sich sehr auf die körperlichen Bewegungen beim Wäsche zusammenlegen o.ä. zu konzentrieren. Der Effekt könnte noch intensiver sein, wenn du diese Bewegungen mit deiner Atmung synchronisierst. Also die Bewegungen im Takt von Ein- und Ausatmung ausführst. Probiere das bei nächster Gelegenheit doch gleich mal aus!
Beispiel Vorlesung
Viele Studierende kämpfen mit langweiligen Vorlesungen oder anderen Lehrveranstaltungen. Gehen dann entweder nicht mehr hin oder sitzen zwar physisch da, schweifen aber gedanklich ab. In so einer Vorlesung ist es etwas schwieriger, prozessorientiert zu bleiben. Hier kann man nicht so leicht seine Aufmerksamkeit auf sich selbst richten, da man es – anders als bei Haushaltstätigkeiten – nicht mit körperlichen Bewegungen zu tun hat. Und würde man nur seinem Atem lauschen, könnte man gleich besser zuhause bleiben, da man dann ohnehin nichts mitnehmen würde. Die Aufmerksamkeit wird in so einer Vorlesung also zwar so beansprucht, dass man sich nicht wirklich auf sich selbst konzentrieren kann. Aber sie wird eben auch nicht genug gefordert, so dass man in einen Flow eintauchen könnte. Didaktisch liegt der Grund darin, dass man als reiner Zuhörer zu passiv ist. Eine Abhilfe wäre dann, selbst dafür zu sorgen, aktiver zu werden. Falls du noch nicht mitschreibst, probiere das: Notiere die wichtigsten Kernaussagen der Dozent*in. Nicht einfach alles, was sie sagt, das wäre dann ja wieder recht stupide. Sondern entscheide bei jedem inhaltlichen Block, mit welchem Satz oder Stichpunkt du das zusammenfassend festhalten kannst. Denn durch die selbst gestellte Aufgabe, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, wird das Gehirn aktiv. Diese Kategorisierung ist eine eigenständige Leistung. Und das ist es, was du brauchst, um in eine aktive Rolle zu gehen. Das macht dann automatisch wacher und bindet die Konzentration. Und wenn die Konzentration bei den Inhalten ist, dann zieht das automatisch die Aufmerksamkeit vom angestrebten Ziel „Vorlesung hinter mich bringen“ ab – voilà, Prozessorientierung! Mit dem Nebeneffekt von mehr Zufriedenheit (die Vorlesung ist dann nicht mehr so ätzend) und besserem Lerneffekt (weil aktive Erarbeitung die Inhalte immer besser im Gedächtnis verankert als reines Zuhören).
Eine andere Möglichkeit: Nicht mehr hingehen! Und stattdessen zu der gleichen Zeit in die Bibliothek gehen und mithilfe eines Lehrbuchs den gleichen Stoff eigenständig erarbeiten. Wenn man hier den Text nicht einfach nur liest (sonst gleiche Passivität wie beim Zuhören), sondern sich den Text richtig zu eigen macht, indem man Fragen stellt, Antworten schreibt, Notizen und Kommentare dazu festhält, Kernaussagen formuliert – dann werden diese Inhalte wesentlich besser hängen bleiben als beim simplen Zuhören in der Vorlesung. Wenn du Zweifel hast, ob es dir gelingen wird, routinemäßig die Inhalte so eigenständig zu erarbeiten, dann schau dir mal meinen Kurs an, in dem du lernen kannst, wie man Gewohnheiten im eigenen Leben einführt.