Warum du deinen Tag nicht mit E-Mails beginnen solltest

Viele Menschen beginnen ihren Tag mit dem Checken der E-Mails. Den meisten ist nicht bewusst, dass sie damit den Grundstein für einen unproduktiven Tag gelegt haben. Den Tag mit der Bearbeitung der Mails zu beginnen, ist, als würde man in einen Zug einsteigen, der ohne weiteren Halt ins Nirgendwo fährt. Warum?

DEin Leben als Ratte im Labor

Sehen wir uns dazu an, mit welcher Arbeitshaltung wir Mails bearbeiten: Wir öffnen unser Mailprogramm mit der leicht freudvollen Hoffnung, dass da interessante, spannende Nachrichten enthalten sein könnten, die unsere sozialen Bedürfnisse befriedigen oder uns beruflich weiter bringen. Oder wir öffnen die Mails und erwarten eher einen Berg von Anforderungen und Aufgaben, die wir jetzt zu erledigen haben, und hoffen, dass es heute nicht ganz so nervig sein möge. Egal, ob die Haltung eher freudvoll-gespannt oder abwehrend-befürchtend ist: In jedem Fall warten wir. Wir stellen uns ein auf das, was da kommen möge. Und sind bereit, uns dessen Anforderungen anzupassen, schließlich wollen wir die E-Mails ja beantworten. Das bedeutet, wir sind bereit zu reagieren. Aber wo ist das Problem? Das Problem daran ist, dass diese Arbeitshaltung passiv ist. Wir werden zum Konsumenten dessen, was da kommt. Die Aktivität geht nicht von uns selbst aus, wir erschaffen nichts, sondern wir sind eher wie die Ratte in einem psychologischen Experiment, die auf irgendwelche Hebel drücken muss, wenn das Licht angeht, um dann eine Belohnung in Form eines Futterpellets zu erhalten. Gut, wir essen keine Leckerli – bei uns ist die Belohnung das Gefühl, etwas geschafft zu haben, wenn wir eine E-Mail abgeschickt haben. Eben ein kleines Erfolgserlebnis…

Wenn dein Job tatsächlich nur darin bestünde, externen Aufforderungen sofort nachzukommen, da also jemand ist, der dir ständig vorgibt, was du gerade zu tun hast, weil du z.B. am Fließband arbeitest – dann brauchst du nicht weiter zu lesen. Dann ist eine reaktive Arbeitshaltung genau das, was du brauchst. Wenn du allerdings Aufgaben zu erledigen hast, die nicht von jemand außerhalb von dir direkt gesteuert werden, oder du sogar Aufgaben bewältigen willst, die dir gar niemand vorgegeben hat, dann brauchst du aller Wahrscheinlichkeit nach eine aktive Arbeitshaltung. Dann muss Initiative von dir selbst aus gehen. Du musst den Impuls geben, was jetzt zu tun ist. Du gibst dir selbst den nächsten Schritt vor. So ist das mit aller Art von schöpferischer Arbeit: Sei es das Schreiben eines Textes, das Ersinnen eines Designs oder das Erschaffen eines Kunstwerkes. „Sei kreativ, jetzt sofort!“ ist ein paradoxer Befehl, der sich eben nicht umsetzen lässt (wie der alte Klassiker der „Sei spontan“-Paradoxie von Paul Watzlawick). Schöpferische Arbeit muss aus dir selbst heraus kommen. Und genau deswegen sind das morgendliche Mails-Checken und ähnliche, passiv erlebte und konsumorientierte Aktivitäten ein Problem für deinen restlichen Arbeitstag: Sie setzen dich auf ein reaktives Gleis, von dem du nur schwer wieder runter kommst. Du programmierst dein Gehirn auf Passivität! Morgens ist dein Gehirn noch frisch und du bereitest es mit dem Mailcheck auf einen Tag als Ratte im Käfig vor. Ein Tag voller Hebeldrücken und schnelle Belohnungen abgreifen…

Die Geschwindigkeit, mit der du belohnt wirst, ist ein weiterer Aspekt, der dich in der reaktiven Arbeitshaltung gefangen hält: Du wirst süchtig. Eine Mail zu lesen (wenn freudvoll) ist eine Form des sozialen Kontaktes mit einem anderen Menschen. Und wir, als zutiefst soziale Wesen, reagieren stark auf Sozialkontakt. Für die meisten Menschen ist der Kontakt mit anderen ein starker Verstärker, das entsprechende Verhalten in Zukunft öfter auszuführen. Facebook etc. basiert darauf. Denk mal darüber nach, wie viel Zeit am Tag du mit der direkten oder virtuellen Interaktion mit anderen Menschen verbringst. Und dann überlege, wie viel Zeit du am liebsten mit der Interaktion mit anderen Menschen verbringen würdest, wenn du nicht arbeiten/etc. müsstest… Genau, soziale Kontakte sind für die meisten von uns unglaublich wichtig.

Und selbst wenn die Mail, die du da morgens erhältst, in keinster Weise deine sozialen Bedürfnisse befriedigt, dann hast du doch immerhin ein Erfolgserlebnis, wenn du sie „abgearbeitet“ hast, sprich beantwortet oder zu den Akten gelegt hast. Und das Bearbeiten einer einzelnen Mail geht ja meist sehr schnell – vor allem, wenn man es mit Aufgaben wie dem Anfertigen einer Seminar- oder Doktorarbeit vergleicht. Wir werden also beim Bearbeiten der E-Mails häufig und in kurzen Abständen belohnt, beim Anfertigen unseres langfristigen Projekts dagegen nicht so häufig – wenn überhaupt. Also welches Verhalten werden wir in Zukunft wohl häufiger ausführen?…Genau, darum fällt es uns ja so leicht, den Tag mit dem Mailcheck zu beginnen.

Dein Gehirn wird also durch den morgendlichen Mailcheck nicht nur auf Reagieren programmiert, sondern erwartet auch schnelle Belohnungen. Das wäre ok, wenn du deinen Tag vollständig mit so kleinen „Moskito-Aufgaben“ verbringen willst, die mit ein paar Handgriffen erledigt sind (Wäsche vom Kleiderständer abhängen, Schreibtisch aufräumen, Mails beantworten, kurz was in der Apotheke besorgen, etc.). Wenn du aber dein „großes Ding“ machen möchtest, deine Zukunft in die Hand nehmen möchtest und dein eigenständiges Großprojekt weiterbringen möchtest, dann brauchst du eine aktive Arbeitshaltung! Dann musst du dich in Ruhe in dein Projekt versenken können – ohne dass dein Gehirn ständig nach dem nächsten Belohnungs-Schuss lechzt. Darum starte deinen Tag mit Produktion statt Konsum! Starte mit einem schöpferischen Akt wie Schreiben statt mit einem konsumierenden wie Lesen!

Reagiere nicht mehr, sondern sei der Ursprung deines Verhaltens!

Autor: Martin

Psychologe, Wissenschaftler, freiberuflicher Trainer & Coach

2 Gedanken zu „Warum du deinen Tag nicht mit E-Mails beginnen solltest“

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