Wie man es schafft, dass eine neue Verhaltensweise zur Routine wird

Was ist der Sinn des Gewohnheitsaufbaus?

Viele Menschen haben bereits verstanden, dass man für ein zufriedenstellendes Leben zufriedenstellende Gewohnheiten braucht. Das liegt zum einen daran, dass dein Alltag aus diesen Gewohnheiten besteht. Deine Gewohnheiten sind diejenigen Aktivitäten, mit denen du die meiste Zeit verbringst. Damit sind deine Gewohnheiten dein Leben.

Zum anderen sind die allermeisten Ziele, die es wirklich wert sind, angestrebt zu werden, nicht von heute auf morgen erreichbar. Dazu braucht es meist ein kontinuierliches Bemühen über einen langen Zeitraum hinweg. Und genau das ist ohne Gewohnheiten, wenn man sich jeden Tag aufs Neue motivieren und disziplinieren muss, sehr schwer umzusetzen. Eine passende Gewohnheit hingegen nimmt einem diese Arbeit ab. Mit einer Gewohnheit kannst du die regelmäßigen Tätigkeiten, die dich über die Zeit hinweg deinem Ziel näher bringen, automatisieren. Du musst dann keine Kraft und Anstrengung mehr aufbringen, um diese Tätigkeit zu beginnen. Diese für dich so wichtige Tätigkeit ist zum Selbstläufer geworden. Genau da wollen wir hin. Und viele andere auch, wovon die unzähligen Habbit-Tracker-Apps, Selbsthilfebücher zu diesem Thema und nicht zuletzt diese Website hier zeugen.

Was ist notwendig, damit eine Gewohnheit entsteht?

Die zentrale Bedingung schlechthin, die für eine gelingende Automatisierung erforderlich ist, ist die Verknüpfung der neuen Tätigkeit mit einem guten Trigger (Auslösereiz). Wir brauchen ein Signal, das für unser Gehirn auf lange Sicht bedeuten soll: „Führe jetzt die Gewohnheit aus!“ Wenn es keinen klaren Auslöser für unsere neue Gewohnheit gibt, dann müssen wir ja selbst jedes Mal die Entscheidung treffen, ob wir die Tätigkeit in diesem Moment, der gerade vor uns liegt, ausführen wollen oder nicht. Das ist nicht nur ein Einfallstor für Prokrastination („ähh… nee, mache ich irgendwann später“), sondern auch das Gegenteil von Automatisierung: Wir wollen die bewusste Kontrolle und Notwendigkeit zur bewussten Initiation einer Verhaltensweise ja gerade an die Gewohnheit delegieren. Wir wollen uns nicht mehr fragen „Soll ich oder soll ich nicht?“. Wir wollen, dass wir wie von Geisterhand gesteuert die Wunschtätigkeit ausführen, ohne selbst nochmals aktiv darüber nachdenken zu müssen. Darum brauchen wir eine Auslösesituation, die dann mit der Zeit die ganz eindeutige Bedeutung erhält: „Tue es jetzt!“

Was macht einen guten Trigger aus?

Schon in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts haben die klassischen Behavioristen (Pawlow (der mit dem Hund, der nach dem Glockenton sabbert), Watson, Skinner, etc.) sich daran gemacht, die Bedingungen zu isolieren, unter denen Lernen gelingen kann: Die Verknüpfung zwischen einem Reiz und einer Verhaltensreaktion gelingt umso besser, je besser die Bedingungen Kontiguität, Konsistenz und Informativität gewährleistet sind. Was heißt das?

Kontiguität

Damit ist nichts anderes als zeitliche und räumliche Nähe gemeint. Klar ist: Wenn in China ein Sack Reis umfällt, dann werde ich hier in Deutschland daran keine Verhaltensweise knüpfen können. Das heißt aber auch: Wenn ich erst 10 Minuten nach dem Weckerklingeln aufstehe, dann wird mein Gehirn die Bewegungen des Aufstehens nur schwer mit dem Wecker assoziieren. Dann wird das Aus-dem-Bett-Kriechen immer ein bewusster Akt bleiben, zu dem ich mich eigens motivieren muss. Wenn ich dagegen immer direkt nach dem Klingeln die Decke zur Seite schiebe, dann wird sich viel leichter eine Verknüpfung zwischen Ton und Verhalten einstellen.

Konsistenz

Diese Verknüpfung zwischen Ton und Verhalten wird aber nur dann gelingen, wenn das Verhalten auch möglichst immer auf den Ton folgt. Wenn ich die Decke manchmal zur Seite schiebe, manchmal aber auch nicht – woher soll der einfach gestrickte Teil unseres Gehirns dann wissen, dass das Zur-Seite-Schieben der Decke was mit dem Klingeln des Weckers zu tun hat? Die Verbindung zwischen Reiz (hier: Klingeln) und Reaktion (hier: Decke wegschieben) muss also konsistent, d.h. zuverlässig sein.

Informativität

Die dritte Bedingung, ohne die wir keine Verknüpfung zwischen Reiz und Reaktion herstellen werden, ist der Informationsgehalt. Es ist wichtig, dass der Reiz, der ein bestimmtes Verhalten auslösen soll, auch Information trägt. Nehmen wir als Beispiel mal den Fall, dass ich abends auf dem Sofa sitze und den Wunsch habe, um 23 Uhr den Fernseher auszuschalten, um rechtzeitig ins Bett zu kommen. Jetzt könnte ich mir vornehmen, um 23 Uhr den Fernseher auszuschalten. Das Problem ist, dass die Uhrzeit an sich an der Situation nichts Wesentliches ändert. Ich sitze da und eine Sekunde gleicht der anderen. Zwischen 22:59:59 und 23:00:00 Uhr besteht kein irgendwie spürbarer Unterschied. Darum eignet sich eine Uhrzeit allein auch nicht als Trigger. Anders sieht es aus, wenn ich mir einen Wecker auf diese Uhrzeit gestellt habe. Dann markiert immerhin der deutlich hörbare Ton einen Unterschied zu vorher. Allerdings ist auch dieser Unterschied gering. Denn die Situation ist noch genau dieselbe, im Fernsehen läuft die Serie weiter, an meiner Körperhaltung hat sich nichts geändert. Keinerlei Veränderung, nur ein neu hinzugekommener Ton. Noch viel besser als Auslösereize funktionieren darum Veränderungen der gesamten Situation: Wenn ich nach der Arbeit nach Hause kommme, dann ändert sich das gesamte Szenario: Von der Uni/Arbeit/Straße hin zu meinen eigenen vier Wänden. Alles sieht anders aus, alles riecht anders, hört sich anders an, ist anders temperiert, usw. Deutlicher wird’s nicht mehr. Oder wenn ich morgens vom Bad in die Küche gehe, ändert sich ebenfalls die gesamte Optik. An solche Momente kann ich sehr viel leichter ein neues Verhalten koppeln, da es für den zuständigen Teil meines Gehirns dann sehr deutlich ist: „Hier beginnt was neues“.

Beispiele für gute Trigger

Die Herausforderung ist nun, im eigenen, schon bestehenden Alltag einen Anküpfungspunkt zu finden, an den man die neue Gewohnheit koppeln kann. Typische, für viele Menschen geeignete Trigger sind: Das Verlassen des Bettes am Morgen, das Verlassen des Bades nach der Morgentoilette, das Aufstehen vom Frühstückstisch, das Ankommen im Büro (morgens und dann nochmals nach der Mittagspause), das Ankommen zuhause, das Aufstehen vom Abendessen, das Zähneputzen am Abend und das Anziehen der Klamotten zum Schlafen. Diese Trigger erfüllen alle (zumindest bei den meisten Menschen ;-)) die Kriterien der Konsistenz (Zuverlässigkeit) und der Informativität. Jetzt ist nur noch zu überlegen, ob direkt nach diesen Triggern auch genug Zeit frei ist/frei geräumt werden kann, damit die gewünsche Gewohnheit auch sofort im Anschluss ausgeführt werden kann. Denn nur dann ist das Kriterium der Kontiguität (zeitliche Nähe) auch noch gewährleistet.

Wenn du bei deiner Gewohnheitsplanung alle drei Bedingungen berücksichtigt hast, dann ist der Weg für die Gewohnheitsbildung frei. Dann kannst du, genügend Wiederholungen vorausgesetzt, darauf bauen, dass du diese Verhaltensweise, die jetzt noch neu und ungewohnt ist, eines Tages anstrengungsfrei und ohne darüber nachzudenken umsetzen wirst. Dazu ist natürlich erforderlich, dass du jedes Mal nach dem Trigger deine Zielgewohnheit auch ausführst. Was bekanntermaßen nicht immer leicht ist. Wie du diesen Prozess so gut unterstützen kannst, dass es ziemlich sicher klappen wird, kannst du hier im Kurs lernen.

Wie man morgens zuverlässig aus dem Bett kommt

Viele meiner Kursteilnehmer haben dieses Anliegen und bei mir selbst war das auch schon mal relevant: Das ewige morgens im Bett „Ach, 5 Minuten liegen bleiben gehen schon noch.“ … Und ehe man sich versieht, hat man eine Stunde vertrödelt, muss dann das Frühstück ausfallen lassen und in totaler Hektik los, um seinen ersten Termin noch zu schaffen. Wem das auch so geht, für den sei diese Anleitung hier geschrieben.

Bitte vorab klären: Schläfst du genug?

Bevor man anfängt, das Aufsteh-Prozedere zu verändern, sollte man sich fragen: Schlafe ich genug? Würde ich, wenn ich denn wie geplant aufstehen würde, auch genug Schlaf bekommen? Am besten so, dass ich am Freitag nicht müder bin als am Montag, sich also kein Schlafdefizit über die Woche aufbaut? Wenn du diese Frage mit „nein“ beantwortest, dann würde ich dazu raten, zuerst am Zu-Bett-geh-Zeitpunkt zu schrauben, bevor du das Aufstehen anpackst. Denn möglicherweise löst sich das morgendliche Drama von ganz allein in Wohlgefallen auf, wenn du ausgeschlafen bist. Oder es wird zumindest wesentlich leichter. Hast du hier Bedarf, dann würde ich dir diesen Artikel zum Weiterlesen empfehlen. Gehen wir nun aber davon aus, dass du tatsächlich genug Schlaf bekommst, aber trotzdem morgens nicht hoch kommst.

Neues Morgenritual

Was du nun tun kannst, ist dein Morgenritual zu verändern, das ab dem Zeitpunkt einsetzt, wenn der Wecker klingelt. Viele greifen dann mit dem Arm in Richtung Nachtkästchen o.ä. und drücken direkt auf „Snooze“ bzw. „Schlummern“. Und schlafen in wenigen Sekunden wieder ein. Und so geht das Spiel dann ein ums andere Mal. Ich selbst hatte früher einen Wecker, der genau 10 Mal im Abstand von 3 Minuten geklingelt hat – und dann nach 30 Minuten für immer aus war. Du kannst dir vorstellen, dass ich im Schlaf natürlich nicht mitgezählt habe, wie oft ich nun schon auf Schlummern gedrückt hatte, so dass ich regelmäßig verschlafen habe… Einmal ganz abgesehen von der zermürbenden halben Stunde, die ich weder wach genutzt habe noch richtig erholsam schlafen konnte. Also kein Wunder, dass sich daran was ändern musste. Und so funktioniert es bei den meisten Kursteilnehmern ganz gut:

  • Die Schlummern-Funktion wird deaktiviert oder, wenn das nicht geht, ein Wecker angeschafft, der keine solche Funktion hat.
  • Dieser Wecker wird nun außer Reichweite des Bettes am Fenster platziert, so dass man aufstehen muss, um ihn auszuschalten.
  • Direkt neben dem Wecker liegt ein großer Zettel, der klare Anweisungen enthält, was als nächstes zu tun ist:
    Wecker ausschalten → Fenster öffnen → ins Bad gehen

Und warum soll das jetzt funktionieren?

Dieser Ablauf funktioniert aus mehreren Gründen:

Zum einen erhöht die Deaktivierung der Schlummern-Funktion die Verbindlichkeit. Wenn ich jetzt nicht aufstehe, dann werde ich sicher verschlafen, weil dann kein Wecker mehr kommt.

Zum anderen ist es für den Teil unseres Gehirns, der für assoziatives Lernen zuständig ist, auch eine riesengroße Erleichterung, da dann eine eindeutige Verknüpfung zwischen Geräusch (Weckerklingeln) und Verhalten (Aufstehen) entsteht. So kann sich das leicht automatisieren. Wenn aber nach 10 Mal Klingeln nur einmal Aufstehen folgt, dann wird sich das niemals automatisieren und jeder Morgen bleibt ein Kampf.

Ein weiterer Grund liegt darin, dass, wenn der Körper durch den Weg durch das Zimmer zum Wecker schon mal in die Vertikale gebracht wurde, es wesentlich leichter ist, einfach stehen zu bleiben, als wenn man sich erst motivieren muss, sich von der Horizontalen aus zu erheben.

Das Fensteröffnen hat den Zweck, das Bett gleich auskühlen zu lassen, so dass es unattraktiver wird, sich wieder hinzulegen (wer wirklich dazu neigt, sich nach dem Badaufenthalt wieder hinzulegen, der kann auch gleich das Bettt schön machen, das schafft dann nochmals eine visuelle Hürde.).

Und schließlich der direkte Weg ins Bad bringt dich zuverlässig aus der Gefahrenzone deines Schlafzimmers, in der sonst minutenlang die Gefahr bestünde, dass du dich doch „nochmal kurz“ hinlegst… (Wer eine kleine Wohnung und einen lauten Wecker hat, könnte den Wecker auch gleich ins Bad stellen…).

Das war’s!

Grundprinzip bei der Einführung neuer Gewohnheiten

An dieser Konstruktion kannst du übrigens auch ein wichtiges Grundprinzip des Gewohnheitsaufbaus erkennen: Wir sollten immer versuchen, die Gewohnheit so zu planen, dass es möglichst leicht wird und wir möglichst wenig Willenskraft benötigen, um die Gewohnheit umzusetzen. Beim morgendlichen Aufstehen ist das besonders wichtig, da unsere Selbstkontrolle im Halbschlaf naturgemäß sich ebenfalls noch im Halbschlaf befindet – mit dem Appell an unsere Diszplin kommen wir in so einem Fall normalerweise nicht weit. Sonst eigentlich aber auch nie. Also, tut alles dafür, dass eine neue Gewohnheit mit möglichst wenig Selbstdisziplin auskommt! Ausführlicher werden diese Idee und alle weiteren Unterstützungsmöglichkeiten für neue Gewohnheiten im Kurs erklärt.

Ich würde mich freuen, wenn du den genauen Ablauf deines eigenen morgendlichen Aufstehens hier als Kommentar posten würdest!

Wie kann man langweilige Aufgaben so prozessorientiert erledigen, dass sie zufrieden machen?

Jeder ist mit Aufgaben konfrontiert, deren Erledigung erstmal keinen Spaß machen, vielleicht langweilig sind. Nehmen wir z.B. Geschirrspülen, Staubsaugen, Einkaufen oder die ungeliebte Vorlesung. Das faszinierende daran ist, dass auch hier wieder gilt, dass die Eigenschaften der Aufgabe kein bisschen vorhersagen, inwiefern sie als spannend, angenehm oder langweilig erlebt werden. Es gibt genug Leute, die z.B. das Staubsaugen der Wohnung als entspannenden, meditativen Akt erleben. Andere hingegen ärgern sich über diese Aufgabe, schieben sie hinaus, so lange es geht und ringen sich dann dazu durch, das Staubsaugen möglichst schnell hinter sich zu bringen. Das Ergebnis dieser Haltung ist dann Stress und Unzufriedenheit und am Ende des Tages der Eindruck – falls noch mehr Aufgaben so erledigt wurden -, nichts wirklich Sinnvolles geschafft zu haben.

Wie erklärt sich nun dieser Unterschied? Warum findet das der eine angenehm und die andere nicht? Genetische Prädisposition zum Staubsaugen als Erklärung wollen wir jetzt mal ausschließen, schließlich ist kaum zu erwarten, dass in der Menschheitsgeschichte über einen längeren Zeitraum hinweg ein Selektionsdruck in Richtung Staubsaugepräferenz gewirkt haben sollte… ;-). Also muss es wohl die Art sein, wie der einzelne die Aufgabe Staubsaugen betrachtet. Für die eine ein notwendiges Übel, für den anderen angenehme Gelegenheit zum Abschalten und Relaxen. Daraus können wir eine erste Übung ableiten:

Wenn du das nächste Mal vor einer Aufgabe stehst, die du langweilig findest und darum so schnell wie möglich hinter dich bringen möchtest, dann mache dir bewusst: Irgendwo auf dieser Welt wird es mindestens einen Menschen geben (vielleicht kennst du sogar einen?), der diese Aufgabe angenehm findet. Versetze dich in dessen Lage! Stelle dir vor, diese Person würde jetzt gerade das tun, was du gerade tust. Warum findet sie diese Aufgabe wohl angenehm? Welche Bedürfnisse kann sie mit dieser Aufgabe befriedigen? Wie gelingt es ihr, Interesse oder Geistesruhe dabei zu empfinden?

Zu dieser Übung passt als Inspiration folgende Geschichte von Anthony de Mello (im Herder Verlag erschienen) (sinngemäß wiedergegeben):

Der Meister betonte oft die Wichtigkeit täglicher Meditationspraxis und lobte deren positive Wirkung. Dennoch trafen ihn seine Schüler nur selten an, wie er in Meditation versunken saß. Auf diesen Widerspruch angesprochen, entgegnete er: „Man braucht die Meditation nicht zu unterbrechen, nur weil man sich einer Aufgabe widmet.“

Für den Anfänger bieten sich gerade die eintönigen, einfachen Aufgaben an, die die Tendenz dazu haben, langweilig zu sein, um dieses Konzept zu üben: Meditation während der Arbeit. Im Unterschied zur sitzenden Meditation, in der man z.B. auf seinen ein- und ausfließenden Atem achtet, konzentriert man sich beim Staubsaugen oder Bügeln z.B. auf die gleitenden Bewegungen der Saugdüse über den Boden.

Eine interessante Parallele sehe ich in Tee-Zeremonien aus dem Zen: Dort gibt es sehr ausgefeilte Rituale mit genau abgezirkelten Abläufen, wie der Tee zubereitet, serviert und getrunken wird. Doch was hat das eigentlich für einen Sinn, eine triviale Tätigkeit so zu reglementieren? Die Idee dahinter ist, durch die Ritualisierung von solchen Alltagstätigkeiten einen Anker für die eigene Aufmerksamkeit zu haben, der dabei hilft, genau in der Gegenwart zu bleiben und sich auf die Ausführung der einzelnen Bewegungen zu konzentrieren. So etwas könnte ich mir auch bei Haushaltstätigkeiten gut vorstellen. Eine reduzierte Variante wäre z.B., sich sehr auf die körperlichen Bewegungen beim Wäsche zusammenlegen o.ä. zu konzentrieren. Der Effekt könnte noch intensiver sein, wenn du diese Bewegungen mit deiner Atmung synchronisierst. Also die Bewegungen im Takt von Ein- und Ausatmung ausführst. Probiere das bei nächster Gelegenheit doch gleich mal aus!

Beispiel Vorlesung

Viele Studierende kämpfen mit langweiligen Vorlesungen oder anderen Lehrveranstaltungen. Gehen dann entweder nicht mehr hin oder sitzen zwar physisch da, schweifen aber gedanklich ab. In so einer Vorlesung ist es etwas schwieriger, prozessorientiert zu bleiben. Hier kann man nicht so leicht seine Aufmerksamkeit auf sich selbst richten, da man es – anders als bei Haushaltstätigkeiten – nicht mit körperlichen Bewegungen zu tun hat. Und würde man nur seinem Atem lauschen, könnte man gleich besser zuhause bleiben, da man dann ohnehin nichts mitnehmen würde. Die Aufmerksamkeit wird in so einer Vorlesung also zwar so beansprucht, dass man sich nicht wirklich auf sich selbst konzentrieren kann. Aber sie wird eben auch nicht genug gefordert, so dass man in einen Flow eintauchen könnte. Didaktisch liegt der Grund darin, dass man als reiner Zuhörer zu passiv ist. Eine Abhilfe wäre dann, selbst dafür zu sorgen, aktiver zu werden. Falls du noch nicht mitschreibst, probiere das: Notiere die wichtigsten Kernaussagen der Dozent*in. Nicht einfach alles, was sie sagt, das wäre dann ja wieder recht stupide. Sondern entscheide bei jedem inhaltlichen Block, mit welchem Satz oder Stichpunkt du das zusammenfassend festhalten kannst. Denn durch die selbst gestellte Aufgabe, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, wird das Gehirn aktiv. Diese Kategorisierung ist eine eigenständige Leistung. Und das ist es, was du brauchst, um in eine aktive Rolle zu gehen. Das macht dann automatisch wacher und bindet die Konzentration. Und wenn die Konzentration bei den Inhalten ist, dann zieht das automatisch die Aufmerksamkeit vom angestrebten Ziel „Vorlesung hinter mich bringen“ ab – voilà, Prozessorientierung! Mit dem Nebeneffekt von mehr Zufriedenheit (die Vorlesung ist dann nicht mehr so ätzend) und besserem Lerneffekt (weil aktive Erarbeitung die Inhalte immer besser im Gedächtnis verankert als reines Zuhören).

Eine andere Möglichkeit: Nicht mehr hingehen! Und stattdessen zu der gleichen Zeit in die Bibliothek gehen und mithilfe eines Lehrbuchs den gleichen Stoff eigenständig erarbeiten. Wenn man hier den Text nicht einfach nur liest (sonst gleiche Passivität wie beim Zuhören), sondern sich den Text richtig zu eigen macht, indem man Fragen stellt, Antworten schreibt, Notizen und Kommentare dazu festhält, Kernaussagen formuliert – dann werden diese Inhalte wesentlich besser hängen bleiben als beim simplen Zuhören in der Vorlesung. Wenn du Zweifel hast, ob es dir gelingen wird, routinemäßig die Inhalte so eigenständig zu erarbeiten, dann schau dir mal meinen Kurs an, in dem du lernen kannst, wie man Gewohnheiten im eigenen Leben einführt.

Wie man to-Do-Listen so nutzt, dass sie keine schlechte Stimmung erzeugen

Der übliche Weg: Man hat eine Liste, auf der einfach alle Arten von Erinnerungen drauf stehen, was man alles noch tun möchte. Wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, dann hat man eine unbestimmte Anzahl von Zetteln, die irgendwo herumfliegen, dazu noch ein paar Post-its, die irgendwo kleben und Erinnerungen im Handy… Aber gehen wir von dem vergleichsweise günstigen Fall aus, man hat bereits ein funktionierendes System, Erinnerungen an zu erledigende Aufgaben festzuhalten.

Das Problem hierbei ist nun, dass diese Listen für viele to-Do-Listen-Verwender die Tendenz haben, immer länger und nicht kürzer zu werden. Es kommen neue Aufgaben hinzu, aber die alten gehen nicht weg. Das ist frustrierend. Eine Ursache kann klassische Prokrastination sein – heißt, wir schieben Aufgaben auf, auf die wir keine Lust haben, obwohl wir sie uns vorgenommen hatten, und machen stattdessen etwas anderes. Um die Ursache für diese Tendenz anzugehen, gibt es den Kurs hier. Aber in vielen Fällen ist es gar nicht unbedingt die eigene Hemmung, eine Aufgabe anzugehen, sondern die Art, wie die to-Do-Liste selbst geführt wird, ist für den Frust verantwortlich. Wie das?

Typische Fehler im Umgang mit to-Do-Listen

  • Zielzustände statt Handlungen
  • ganze Projekte statt jeweils nächster Schritt
  • Listen mit Aufgaben, die in dem Moment, in dem man drauf sieht, gar nicht erledigt werden können
  • to-Do-Liste als Disziplinierungstool

Zielzustände statt Handlungen

Wir schreiben gerne einzelne Schlagworte auf die to-Do-Liste: „Küche“ oder „Dissertation“ oder „zufrieden sein“. Solche Einträge motivieren nicht sonderlich dazu, diese Aufgaben anzugehen, da sie nicht ausführbar sind. Die Aufgabe „Küche“ beinhaltet nicht, was eigentlich zu tun ist. Schreibe ich stattdessen „das Geschirr in die Spülmaschine räumen“, dann ist wesentlich klarer, was ich eigentlich tun soll. Ich brauche diese Aussage nur zu lesen und kann sie direkt umsetzen. Die kritische Leserin mag nun einwenden, dass man bei „Küche“ ja schon sehr genau wüsste, welche Handlung sich dahinter verbergen, und sich deswegen nicht die Mühe zu machen brauche, das nochmals extra festzuhalten. Das stimmt in diesem Fall natürlich – aber es macht trotzdem einen Unterschied! Denn unser Gehirn muss eben doch den Eintrag auf der to-Do-Liste erst in eine Handlung umformulieren. Das ist eben ein Gedankenschritt zusätzlich. Und genau dieser kleine Zusatzaufwand kann das Quäntchen zu viel sein, das dann die Erledigung dieser Aufgabe verhindert. Darum vergrößert es die Ausführungswahrscheinlichkeit von Eintragungen auf der to-Do-Liste deutlich, wenn sie als Handlung formuliert werden. Ein guter Indikator dafür ist, ob da auch ein Verb enthalten ist. Beispiele: „Räume die Küche auf!“ funktioniert ein Stück wahrscheinlicher als „Küche“. „Recherchiere nach Literatur und fasse diese zusammen“ funktioniert wahrscheinlicher als „Literaturarbeit“.

Projekte statt nächster Schritt

In obigem Beispiel „Küche aufräumen“ war auch schon ein weiterer typischer Fehler enthalten. Denn was heißt das eigentlich: Wann ist die Küche denn aufgeräumt? Welche einzelnen Handlungen sind denn dazu konkret erforderlich? Gespültes Geschirr aus der Spülmaschine herausräumen und dreckiges Geschirr wieder hineinräumen? Oder auch das Wischen des Küchenbodens? Oder müssen nur die Tischflächen abgewischt werden? Hinter der unscheinbaren Aufgabe „Küche aufräumen“ verbirgt sich also womöglich ein ganzes Projekt. Das ist auch eine der Kernideen des to-Do-Listen-Managementsystems von David Allen, Getting Things Done (GTD). Alles, was nicht mit einem einzigen Arbeitsschritt erledigt werden kann, ist kein to-Do, sondern ein Projekt. Eine passable Richtschnur zur Unterscheidung von Einzelhandlungen und Projekten ist die Frage: Kann diese Aufgabe innerhalb von 20 Min erledigt werden? Falls nein, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Projekt, das aus mehr als einem Einzelschritt besteht, sehr hoch. Aber auch schon kürzere Aufgaben können ein Projekt sein. Beispiel: Es ist Frühling, und so langsam wird definitiv kein Schnee mehr kommen, ich sollte also die Winterrreifen gegen Sommerreifen ersetzen. Das macht die Werkstatt. Ein to-Do auf meiner Liste könnte also sein: „Termin zum Reifenwechsel ausmachen“. Es ist gut möglich, dass diese Aufgabe länger liegen bleibt, da es sich in Wirklichkeit um ein kleines Projekt handelt, wozu aber der nächste Einzelschritt nicht festgehalten wurde. Denn ich muss vermutlich zuerst die Telefonnummer der Werkstatt raussuchen, dann meinen Terminkalender holen, überlegen, wann es mir zeitlich passen würde, und erst dann kann ich die Werkstatt tatsächlich anrufen, um den Termin auch zu vereinbaren. Um die Ausführungswahrscheinlichkeit zu erhöhen, muss ich also zu jedem Projekt auch formulieren, was der nächste Handlungsschritt ist. In diesem Fall sollte auf meiner Liste stehen: „Telefonnummer der Werkstatt raussuchen“.

Listen mit Aufgaben, die gar nicht erledigt werden können

Sehen wir uns das Beispiel mit dem Werkstatttermin nochmals aus einer anderen Perspektive an. Stellen wir uns vor, ich habe tatsächlich schon die Telefonnummer herausgesucht und Zeitfenster definiert, wann mir ein Termin in den Kram passen würde. Und jetzt kann ich anrufen, oder nicht? Nein, denn es ist schon nach 18 Uhr, und da ist in der Werkstatt niemand mehr da… Ich habe also alles richtig gemacht, und trotzdem scheitert die Erledigung meiner Aufgabe. Ich bin motiviert, eine Aufgabe von meiner Liste zu erledigen, schaue also auf meine to-Do-Liste, nehme die erstbeste Aufgabe und kann sie doch nicht abschließen. Das zermürbt mich auf zweierlei Art: Zum einen muss ich bei jeder Aufgabe, die auf der Liste steht, vor der Ausführung weitere Überlegungen („kann ich das jetzt gerade überhaupt tun?“) tätigen und das bremst mich erstens und bietet zweitens eine Gelegenheit, die Motivation, etwas von der Liste zu erledigen, wieder zu verlieren („Och nö, das geht ja alles gar nicht, dann mache ich eben was ganz anderes…“). Zum anderen verliere ich dadurch auch das Vertrauen in diese to-Do-Liste als nützliches Werkzeug für mein Aufgabenmanagement. Ich werde dadurch weniger motiviert sein, überhaupt alle Aufgaben dort einzutragen, was das Vertrauen und die tatsächliche Nützlichkeit noch weiter reduzieren wird. Ich brauche also eine Lösung, die diesem Effekt vorbeugt. Und diese Lösung sind im „Getting Things Done“-System kontextspezifische Listen. Der Trick ist, für verschiedene Kontexte separate to-Do-Listen zu führen. Ich selbst habe z.B. eine Liste „@Computer“, auf der alle Aufgaben notiert werden, die ich erledigen kann, wenn ich am Computer sitze. Und eine Liste @Zuhause, auf der ich notiere, was ich in meiner Wohnung tun kann. Und eine @Besorgungsgang, was einer Art erweiterten Einkaufsliste entspricht, @Büro (selbsterklärend) und @Anrufe zu Geschäftszeiten, um oben beschriebenes Problem zu lösen. Abgesehen von diesen individuellen, auf meine Situation zugeschnittenen Listen gibt es im GTD-System standardmäßig noch spezielle, generische Listen:

  • eine Projektliste, in der ich alle Projekte sammle (und dann zu jedem Projekt auf einer der anderen Liste auch einen nächsten Handlungsschritt notiere),
  • eine „Inbox“, in der ich im Tagesverlauf erstmal alle spontan hinzukommmenden Aufträge, Sachen etc. sammle, bei denen ich nicht auf Anhieb entschieden habe, ob sich da nicht ein Projekt dahinter verbirgt, oder ich die nächste Handlung noch nicht definiert habe,
  • eine „Warten auf“-Liste, in der ich notiere, wenn ich auf die Erledigung eines Handlungsschrittes durch jemanden anderen warte (dient dazu, dass ich regelmäßig nachhaken kann, falls erforderlich, also auch Aufgaben, die ich delegiert habe, nicht aus den Augen verliere), und
  • eine „Irgendwann / vielleicht“-Liste, in die alle Aufgaben verschoben werden, die länger auf einer der Kontextlisten stehen, aber nicht erledigt werden und auch nicht unbedingt erledigt werden müssen. Diese Liste geht man dann von Zeit zur Zeit durch und kontrolliert, ob man einen Eintrag davon vielleicht doch wieder auf eine der Kontextlisten setzen möchte.

to-Do-Liste als Disziplinierungstool

Die vorangegangenen Aspekte beziehen sich alle auf die Art, wie man eine to-Do-Liste so führt, dass sie ihren Zweck möglichst gut erfüllen kann. Aber was genau ist eigentlich der Zweck einer to-Do-Liste? Wenn man genau hin sieht, dann stellt man fest, dass sie bei den meisten Leuten eine Doppelfunktion hat. Einerseits dient sie einfach als Gedächtnisstütze: Damit ich nicht alles immer im Kopf behalten muss, schreibe ich es auf. Und dann kann ich, wenn ich gerade Zeit zur Aufgabenerledigung habe, auf die zum jeweiligen Kontext passende Liste sehen und die Aufgabe auswählen, die ich gerade bearbeiten möchte. In dieser Funktion ist ein funktionierendes to-Do-Listen-System für die meisten Leute unverzichtbar. Es entlastet und sorgt dafür, dass man nichts vergisst.

Ein Teil der Menschen, die to-Do-Listen führen, benutzt diese Listen aber noch in einer weiteren Funktion: Sie motivieren sich über die Liste. Dann kommt zur Unterstützungsfunktion des Gedächtnisses noch ein Imperativ hinzu. Jeder Eintrag trägt dann auch noch den unausgesprochenen Befehl mit sich „Erledige mich jetzt sofort!“. Dahinter steht das Ideal einer leeren to-Do-Liste. Die betreffende Person möchte, dass alle Aufgaben erledigt sind. Sie strebt kontinuierlich danach, alle Aufgaben von der Liste abzuhaken, bis nichts mehr drauf steht. Diese Haltung, mit to-Do-Listen umzugehen, birgt allerdings Probleme. Am besten erzähle ich dazu eine Geschichte aus meinem eigenen Leben. Während meines Studiums hat diese Art, meine Aufgaben zu managen, noch halbwegs funktioniert. Manche Dinge standen zwar länger darauf, aber irgendwann waren auch sie abgehakt. Regelmäßig endete mit der letzten Klausur und dem Beginn der Semesterferien auch die Zeit voller Verpflichtungen. Spätestens dann war das meiste abgeschlossen und die to-Do-Liste ruhte mehr oder weniger bis zum nächsten Semester. Doch mit dem Ende des Studiums und dem Beginn von Promotion und Tätigkeit als Angestellter änderte sich das plötzlich. Ich musste schmerzhaft feststellen, dass meine to-Do-Liste nie wieder leer wurde. Ein konstanter Fluss von Aufgaben sorgte dafür, dass ständig neue Aufgaben nachkamen, auch wenn ich mich noch so sehr bemüht hatte, mit meiner Liste fertig zu werden. Ich befand mich in einem perfekten Hamsterrad: Ich renne und renne bei dem verzweifelten Versuch, am Ende der Liste anzugelangen, aber komme doch nicht vom Fleck. Für jede Aufgabe, die ich als erledigt abstreiche, kommen zwei neue nach… Ich war frustriert.

Mein prozessorientierter Umgang mit to-Do-Listen

Irgendwann dämmerte mir dann, dass der Mangel an „Erfolg“ bei der Aufgabenerledigung nicht meine Schuld war, weil ich etwa zu undiszipliniert oder zu langsam oder zu ineffizient arbeiten würde, sondern natürlicher Bestandteil meiner neuen Lebensphase. Ich hatte keine Chance, eine leere to-Do-Liste zu erreichen. Das Ideal einer vollständig abgearbeiteten Liste war die Karotte, die vor mir baumelte, die ich aber doch nie erreichen konnte. Und damit war eine dauerhafte Unzufriedenheit mit mir selbst programmiert. Darum habe ich es aufgegeben, mich über die to-Do-Liste motivieren bzw. disziplinieren zu wollen. Stattdessen verwende ich sie nun nur noch in der ersten Funktion als Gedächtnisstütze, aber nicht mehr mit dem Ziel, alle Aufgaben darauf „wegkriegen“ zu wollen. Die wichtigen, langfristigen Aufgaben bzw. Projekte delegiere ich stattdessen an Gewohnheiten. Für meine Promotion z.B. notiere ich nur noch die Sachen, die ich andernfalls vergessen würde – ich notiere aber nicht mehr, was ich als nächstes tun werde, wenn mir das ohnehin klar ist (z.B. an der Textstelle weiterarbeiten, an der ich ohnehin schon seit Wochen arbeite). Meine to-Do-Listen sind für mich jetzt ein Pool von Möglichkeiten, wo ich mir eine herauspicke, wenn ich mit meinen wichtigen, längerfristigen Aufgaben durch bin, und mich frage, was ich jetzt tun könnte. Dann werfe ich einen Blick in die passende Kontextliste und suche mir was aus. Für alle, die mit den Begriffen Ergebnisorientierung und Prozessorientierung schon vertraut sind: Was ich hier getan habe, ist, die Ergebnisorientierung in Hinblick auf to-Do-Listen aufzugeben. Mir ist es jetzt nicht mehr wichtig, ob da noch Aufgaben auf der Liste stehen und ob diese Aufgaben da möglichst schnell verschwinden. Stattdessen konzentriere ich mich darauf, meine Zeit mit den wichtigen Aufgaben zu verbringen und dabei möglichst zufrieden vor mich hin zu werkeln. Mit dieser prozessorientierten Haltung gelingt mir deutlich mehr als früher bei deutlich gesteigerter Lebenszufriedenheit.

Ist das bei dir vielleicht genauso?

Warum du deinen Tag nicht mit E-Mails beginnen solltest

Viele Menschen beginnen ihren Tag mit dem Checken der E-Mails. Den meisten ist nicht bewusst, dass sie damit den Grundstein für einen unproduktiven Tag gelegt haben. Den Tag mit der Bearbeitung der Mails zu beginnen, ist, als würde man in einen Zug einsteigen, der ohne weiteren Halt ins Nirgendwo fährt. Warum?

DEin Leben als Ratte im Labor

Sehen wir uns dazu an, mit welcher Arbeitshaltung wir Mails bearbeiten: Wir öffnen unser Mailprogramm mit der leicht freudvollen Hoffnung, dass da interessante, spannende Nachrichten enthalten sein könnten, die unsere sozialen Bedürfnisse befriedigen oder uns beruflich weiter bringen. Oder wir öffnen die Mails und erwarten eher einen Berg von Anforderungen und Aufgaben, die wir jetzt zu erledigen haben, und hoffen, dass es heute nicht ganz so nervig sein möge. Egal, ob die Haltung eher freudvoll-gespannt oder abwehrend-befürchtend ist: In jedem Fall warten wir. Wir stellen uns ein auf das, was da kommen möge. Und sind bereit, uns dessen Anforderungen anzupassen, schließlich wollen wir die E-Mails ja beantworten. Das bedeutet, wir sind bereit zu reagieren. Aber wo ist das Problem? Das Problem daran ist, dass diese Arbeitshaltung passiv ist. Wir werden zum Konsumenten dessen, was da kommt. Die Aktivität geht nicht von uns selbst aus, wir erschaffen nichts, sondern wir sind eher wie die Ratte in einem psychologischen Experiment, die auf irgendwelche Hebel drücken muss, wenn das Licht angeht, um dann eine Belohnung in Form eines Futterpellets zu erhalten. Gut, wir essen keine Leckerli – bei uns ist die Belohnung das Gefühl, etwas geschafft zu haben, wenn wir eine E-Mail abgeschickt haben. Eben ein kleines Erfolgserlebnis…

Wenn dein Job tatsächlich nur darin bestünde, externen Aufforderungen sofort nachzukommen, da also jemand ist, der dir ständig vorgibt, was du gerade zu tun hast, weil du z.B. am Fließband arbeitest – dann brauchst du nicht weiter zu lesen. Dann ist eine reaktive Arbeitshaltung genau das, was du brauchst. Wenn du allerdings Aufgaben zu erledigen hast, die nicht von jemand außerhalb von dir direkt gesteuert werden, oder du sogar Aufgaben bewältigen willst, die dir gar niemand vorgegeben hat, dann brauchst du aller Wahrscheinlichkeit nach eine aktive Arbeitshaltung. Dann muss Initiative von dir selbst aus gehen. Du musst den Impuls geben, was jetzt zu tun ist. Du gibst dir selbst den nächsten Schritt vor. So ist das mit aller Art von schöpferischer Arbeit: Sei es das Schreiben eines Textes, das Ersinnen eines Designs oder das Erschaffen eines Kunstwerkes. „Sei kreativ, jetzt sofort!“ ist ein paradoxer Befehl, der sich eben nicht umsetzen lässt (wie der alte Klassiker der „Sei spontan“-Paradoxie von Paul Watzlawick). Schöpferische Arbeit muss aus dir selbst heraus kommen. Und genau deswegen sind das morgendliche Mails-Checken und ähnliche, passiv erlebte und konsumorientierte Aktivitäten ein Problem für deinen restlichen Arbeitstag: Sie setzen dich auf ein reaktives Gleis, von dem du nur schwer wieder runter kommst. Du programmierst dein Gehirn auf Passivität! Morgens ist dein Gehirn noch frisch und du bereitest es mit dem Mailcheck auf einen Tag als Ratte im Käfig vor. Ein Tag voller Hebeldrücken und schnelle Belohnungen abgreifen…

Die Geschwindigkeit, mit der du belohnt wirst, ist ein weiterer Aspekt, der dich in der reaktiven Arbeitshaltung gefangen hält: Du wirst süchtig. Eine Mail zu lesen (wenn freudvoll) ist eine Form des sozialen Kontaktes mit einem anderen Menschen. Und wir, als zutiefst soziale Wesen, reagieren stark auf Sozialkontakt. Für die meisten Menschen ist der Kontakt mit anderen ein starker Verstärker, das entsprechende Verhalten in Zukunft öfter auszuführen. Facebook etc. basiert darauf. Denk mal darüber nach, wie viel Zeit am Tag du mit der direkten oder virtuellen Interaktion mit anderen Menschen verbringst. Und dann überlege, wie viel Zeit du am liebsten mit der Interaktion mit anderen Menschen verbringen würdest, wenn du nicht arbeiten/etc. müsstest… Genau, soziale Kontakte sind für die meisten von uns unglaublich wichtig.

Und selbst wenn die Mail, die du da morgens erhältst, in keinster Weise deine sozialen Bedürfnisse befriedigt, dann hast du doch immerhin ein Erfolgserlebnis, wenn du sie „abgearbeitet“ hast, sprich beantwortet oder zu den Akten gelegt hast. Und das Bearbeiten einer einzelnen Mail geht ja meist sehr schnell – vor allem, wenn man es mit Aufgaben wie dem Anfertigen einer Seminar- oder Doktorarbeit vergleicht. Wir werden also beim Bearbeiten der E-Mails häufig und in kurzen Abständen belohnt, beim Anfertigen unseres langfristigen Projekts dagegen nicht so häufig – wenn überhaupt. Also welches Verhalten werden wir in Zukunft wohl häufiger ausführen?…Genau, darum fällt es uns ja so leicht, den Tag mit dem Mailcheck zu beginnen.

Dein Gehirn wird also durch den morgendlichen Mailcheck nicht nur auf Reagieren programmiert, sondern erwartet auch schnelle Belohnungen. Das wäre ok, wenn du deinen Tag vollständig mit so kleinen „Moskito-Aufgaben“ verbringen willst, die mit ein paar Handgriffen erledigt sind (Wäsche vom Kleiderständer abhängen, Schreibtisch aufräumen, Mails beantworten, kurz was in der Apotheke besorgen, etc.). Wenn du aber dein „großes Ding“ machen möchtest, deine Zukunft in die Hand nehmen möchtest und dein eigenständiges Großprojekt weiterbringen möchtest, dann brauchst du eine aktive Arbeitshaltung! Dann musst du dich in Ruhe in dein Projekt versenken können – ohne dass dein Gehirn ständig nach dem nächsten Belohnungs-Schuss lechzt. Darum starte deinen Tag mit Produktion statt Konsum! Starte mit einem schöpferischen Akt wie Schreiben statt mit einem konsumierenden wie Lesen!

Reagiere nicht mehr, sondern sei der Ursprung deines Verhaltens!

5 Tricks, um deinen Facebook-Konsum während der Arbeit in den Griff zu kriegen

Manchmal ist eine simple Veränderung der Umwelt der einfachste Weg, um eine schlechte Angewohnheit los zu werden…

Meine Grundidee bei der Veränderung von Gewohnheiten ist, die gewünschte Veränderung so zu planen, dass man selbst möglichst leichtes Spiel hat. Man plant so viel Unterstützung ein, dass man mit möglichst wenig Selbstdisziplin auskommt. Es gibt Gewohnheiten, da ist die Veränderung der Umwelt die wichtigste Maßnahme, um das zu erreichen.

Ein Beispiel:

Vor einiger Zeit hatte ich mich daran erinnert, dass ich früher sehr gerne Sudoku-Rätsel gelöst habe. Ich hatte dafür Bücher (aus echtem Papier!), wo eine Menge Rätsel abgedruckt waren. Mein Gedanke dann: Dafür müsste es doch heute eine App geben… und natürlich gab es dazu eine App. Beziehungsweise viele. Also habe ich mir eine installiert und siehe da, Sudoku hat mir immer noch Spaß gemacht. Das Dumme war nur, dass diese App so gut gemacht war, dass es super motivierend war, ein Rätsel nach dem anderen zu lösen. Ich habe in den folgenden Tagen eine richtige Sudoku-Sucht entwickelt. Wie schlimm es war, konnte ich ganz gut an der App-internen Statistik ablesen: Innerhalb von einer Woche hatte ich schon 50h gespielt… Ich musste dringend was tun. Nachdem ich mich ein paar Tage mit dem Gedanken getragen hatte, meinen Sudoku-Konsum einzuschränken, aber keinen richtigen Ansatzpunkt gefunden habe, wie ich mich dazu motivieren sollte, weniger zu spielen, habe ich mich dazu entschieden, die App wieder komplett zu deinstallieren. Und es getan. Seitdem habe ich kein Sudoku mehr gespielt…

Das heißt nicht, dass bei jeder lästigen Angewohnheit der Totalverzicht die richtige Strategie wäre. Wer z.B. weniger Kalorien zu sich nehmen möchte, kann nicht einfach ganz auf Essen verzichten. Auch ich hätte womöglich nicht ganz auf Sudoku verzichten müssen – mit der Papier-und-Bleistift-Version wäre es sicher auch gut, ohne übertriebenes Suchtverhalten, gegangen. Entscheidend ist, dass ich den Umweltfaktor eliminiert habe, der das Sudoku-Spielen so verführerisch und verfügbar gemacht hat (Bedienung und Belohnungsstruktur der App, Handy immer dabei). Wer zu viel Zeit auf Facebook verbringt, möchte möglicherweise seinen Account nicht löschen, sondern sich eben nur während der Arbeit nicht einloggen…

Das Schöne ist, dass man mit simplen Tools oder Kniffen die eigene (digitale) Arbeitsumgebung so strukturieren kann, dass man das, was man stattdessen tun möchte, viel leichter ausführen kann – ohne einen Funken Selbstdisziplin mehr als bisher aufbringen zu müssen. Darum habe ich hier eine kleine Liste mit Ideen zusammengestellt, welche Anpassungen der Umwelt sich anbieten:

Block bestimmter Websites

Du kannst mittels eines Add-ons deinem Internetbrowser beibringen, dass er zeitweilige bestimmte Seiten für dich blockiert, so dass du dich auf deine eigentliche Aufgabe konzentrieren kannst. Bei Firefox ist das z.B. das Add-on Leechblock.

Beschreibung: You can block sites within fixed time periods (e.g., between 9am and 5pm), after a time limit (e.g., 10 minutes in every hour), or with a combination of time periods and time limit (e.g., 10 minutes in every hour between 9am and 5pm). You can also set a password for access to the extension options, just to slow you down in moments of weakness!

Ich würde ein langes und nervig einzugebendes Passwort wählen, das ich nur auf einem Papierzettel notiere, so dass ich es von Hand abtippen müsste, wenn ich doch mal die Zeiteinstellungen übergehen möchte…

Block des gesamten Internets

Falls du nicht nur bestimmte Websites blocken möchtest, sondern am besten gleich das ganze Internet inklusive Mailempfang etc., dann kannst du das entweder digital mit z.B. den Programmen Freedom oder Getcoldturkey realisieren.

Oder du wählst einen Ort, an dem du kein W-Lan hast, als Arbeitsort, z.B. die Bibliothek einer Uni, an der du nicht studierst… Oder du ziehst bei dir zuhause den Stecker an deinem Router…

Smartphone

Der Vorteil beim Smartphone ist, dass die wenigsten dieses wirklich zum Arbeiten brauchen, anders als den Computer und evtl. einen Internetanschluss (also ich meine jetzt diejenigen Arbeiten, bei denen das Smartphone immer als Ablenkung fungiert wie das Schreiben einer wichtigen Textes oder ähnliches… nicht einzelne wichtige Telefonanrufe). Deswegen sind da meistens auch „drastische“ Varianten möglich: Ausschalten! Und, wenn die Hürde zum Wieder-Anschalten immer noch nicht groß genug ist: Wegpacken. Ein ehemaliger Kursteilnehmer hat, um sich störungsfreie Zeit zu verschaffen, immer, wenn er nachmittags nach Hause kam und ohnehin den Briefkasten geleert hat, sein Handy darin eingeschlossen, bevor er hoch in die Wohnung ist… Und erst nach seiner geplanten Arbeitsphase dann wieder geholt. Das beugt dem Impuls, „Nur mal kurz checken, ob ich neue Whatsapp-Nachrichten habe“ unüberlegt nachzugeben, doch relativ effektiv vor, wenn ich dazu erst Schuhe anziehen, zwei Stockwerke runterlaufen und dann das Handy booten müsste…

Wenn du nach einer weniger radikalen Lösung suchst, dann kannst du dir mal die App Forest anschauen. Die App nutzt Gamification, um dich zu belohnen/zu bestrafen, wenn du abstinent bleibst/deinen Vorsatz brichst: Du siehst einen Baum wachsen, der abstirbt, wenn du vor der geplanten Zeit doch ans Handy gehst…

Anderweitig interessante Programme

Wenn du glaubst „Ach, so schlimm ist es ja nicht, so viel Zeit verbringe ich ja gar nicht auf Facebook & Co.“, dann kannst du dein eigenes Computer-Verhalten mal eine gewisse Zeit lang mit Rescuetime tracken und diese Vermutung überprüfen.

Falls deine primäre Aufgabe das Schreiben von Texten ist, dann hilft dir vielleicht wie vielen anderen Leuten, ein Eingabeprogramm zu nutzen, das nicht so sehr zum Zeitverplempern mit Layout und Formatieren einlädt wie Word. Ein simpler Texteditor à la Notepad kann hier ausreichen. Kostenpflichtige Varianten, die dieses Prinzip noch etwas weiter treiben, wären z.B. Writerroom (Mac) bzw. Dark room (Win).

Für wissenschaftliche Arbeiten erfüllt LaTeX diesen Zweck auch sehr gut. Dafür ist LaTeX sowieso aus zig Gründen die viel bessere Wahl ;-). Aber das ist ein anderes Thema.

Wie man Deadlines einhält

Zusammenfassung

Wie wird Prozessorientierung zu einem Tool, mit dem man sicher Deadlines einhalten kann? Indem man immer zuerst an der wichtigsten Aufgabe arbeitet, und zwar nur solange, wie sie noch die wichtigste ist, um das Projekt voranzubringen. Wenn man immer an dem Teilschritt arbeitet, der den größten Sprung in Richtung Erfolg verspricht, dann wird man zwangsläufig die verbleibende Zeit bis zur Deadline maximal sinnvoll nutzen.

Volltext

Ich werde öfter gefragt:

„Martin, das mit der Prozessorientierung ist ja eine super Idee, hört sich auch toll an, aber das kann ich so ja nicht umsetzen, wenn ich pünktlich zu einer Deadline fertig sein muss. Dann muss ich ja ergebnisorientiert vorgehen! Wie soll ich sonst gewährleisten, dass die Aufgabe rechtzeitig fertig wird?“

Diesem Gedankengang liegen zwei Missverständnisse zugrunde:

  1. Darüber, was Prozessorientierung ist
  2. Darüber, was die Ergebnisorientierung hier wirklich zum rechtzeitigen Fertigwerden beiträgt und was nicht

Zu Missverständnis Nr. 1:
Lustprinzip vs. Prozessorientierung

Beim ersten Kennenlernen des Konzepts Prozessorientierung stellen sich darunter viele so eine Art Laissez-faire-Stil des Arbeitens vor: Ich mache immer das, worauf ich gerade am meisten Lust habe, was mir am meisten Spaß macht. Das scheint ja auch erst einmal naheliegend, da genau diese Arbeitshaltung einen Gegenpol zum davor praktizierten Versuch darstellt, gegen sich selbst Zwang auszuüben und sich in Richtung eines Ziels anzuschieben, auch wenn die Aufgabe keinen Spaß macht. Wenn ich dann erzähle, dass man sich nicht mehr zwingen muss, dann ist die logische Folgerung, dass die neue Haltung wohl so aussehen müsse, dass man immer das tun dürfe, worauf man gerade am meisten Lust habe. Tatsächlich entspricht das ja ziemlich genau dem typischen Prokrastinationsverhalten: Ich habe eine Aufgabe vor mir, die ich als unangenehm bewerte, und dann wechsle ich zu einer Aufgabe, die mir leicht von der Hand geht – obwohl ich selbst glaube, wegen dieses Wechsels langfristig schlechter dran zu sein. Das ist die Definition von Prokrastinationsverhalten. Aber nicht die von Prozessorientierung. Prozessorientierung heißt nicht, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, immer positive Gefühle zu haben und entsprechend nur als angenehm bewertete Aufgaben auszuwählen. Prozessorientierung heißt, die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit selbst zu richten – egal als wie angenehm oder unangenehm eine bestimmte Aufgabe gerade bewertet wird. Diese Aufmerksamkeitsverschiebung weg vom gewünschten Ergebnis hin zur tatsächlichen Tätigkeit hat zwar zur Folge, dass dieselbe Aufgabe ganz andere emotionale Qualitäten entfalten kann. Möglicherweise kann ich der zuvor als so unangenehm bewerteten Aufgabe ganz neue Aspekte abgewinnen, die z.B. meine Neugier wecken. Aber die Prozessorientierung selbst besteht nicht darin, sich auf die angenehmen Seiten zu konzentrieren oder nur entsprechende Aufgaben auszuwählen. Andere Gefühle sind eine (mögliche) Folge dieses Fokus auf die Ausführung einer Tätigkeit, sind aber nicht selbst Gegenstand der Aufmerksamkeit.

Das bedeutet auch: Prozessorientiert zu arbeiten und an Aufgaben zu arbeiten, die einem dem anvisierten Ziel näher bringen, ist in keinster Weise ein Widerspruch. Wir können also prozessorientiert arbeiten und trotzdem in Richtung eines Ziels voran schreiten. Damit ist die Frage geklärt, ob Prozessorientierung uns davon abhalten wird, an den für ein Ziel entscheidenden Aufgaben zu arbeiten – jetzt fehlt also nur noch eine Antwort auf die Frage, wie man nun garantieren kann, dass man mit dieser Form der Aufgabenbearbeitung auch rechtzeitig zur Deadline fertig sein wird. Davon handelt der nächste Abschnitt.

Zu Missverständnis Nr. 2:
Ergebnisorientierung, Zeitpläne und deren prinzipielle Nutzlosigkeit

Sehen wir uns zuerst einmal an, wie der übliche Umgang mit Aufgaben ist, die zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen sein müssen. Wir haben ein Ziel, das wir uns im günstigsten Falle relativ detailliert ausmalen. Diese schöne Zukunft wollen wir erreichen. Diese reichhaltige Ergebnisvision verblasst allerdings in vielen Fällen mit der Zeit. Übrig bleibt als Rumpf dieses Ziels nur noch der Appell an uns selbst: „Du musst mit dieser Aufgabe fertig werden.“ So ein Appell ist weder motivierend, da er nicht mehr enthält, was eigentlich so attraktiv an dem Ziel war, noch ist er hilfreich, da er nicht beinhaltet, wie man dieses Ziel eigentlich erreichen soll. In dieser Situation kommt uns immerhin zuhilfe, dass wir von unzähligen Produktivitätsratgebern gelernt haben, dass man ein großes, vages Ziel in handhabbare Zwischenschritte zerlegen muss. Ich mache aus einem großen, unerreichbaren Ziel viele kleine, erreichbare Zwischenziele. Und, wenn wir dem üblichen Rat folgen, versehen wir die einzelnen Zwischenziele auch noch mit einzelnen Deadlines. Dann haben wir einen Zeitplan, der enthält, was der Reihe nach wann fertig sein soll. Dieser Zeitplan suggeriert uns dann, dass wir den Prozess im Griff haben und, wenn wir uns genau daran halten, zuverlässig mit der Aufgabe fertig werden.

So ein Vorgehen ist natürlich unabdingbar, wenn man mit anderen Menschen zusammenarbeitet und einzelne Teilschritte von unterschiedlichen Personen übernommen werden, die jeweils bei ihrer Aufgabenbearbeitung auf die Ergebnisse vorangegangener Teilaufgaben angewiesen sind. In diesen Fällen ist ein Zeitplan dieser Art die Minimalvoraussetzung für gelingende Zusammenarbeit. In den Fällen, in denen Prokrastination aber gnadenlos zuschlagen kann, wie z.B. einer Promotion, die man ganz allein für sich anfertigt, funktionieren diese Pläne aber nicht. Denn diese Art von Zeitplänen haben zwei grundsätzliche Probleme:

  1. Der Plan definiert nur (Zwischen-)Ergebnisse, keine Handlungen.
  2. Der Zeitbedarf neuer Aufgaben kann im Voraus nicht sinnvoll geschätzt werden.

Zum einen krankt ein solcher Plan, der „Meilensteine“ festlegt, daran, dass unklar bleibt, mit welchen Tätigkeiten diese Meilensteine eigentlich erreicht werden sollen. Bei super simplen Zielen ist das oft nicht so schlimm, weil Ergebnis und zur Erreichung des Ergebnisses notwendige Handlung intuitiv zusammen gedacht werden: Wenn ich das Ziel habe, ein sauberes Bad zu haben, ist das automatisch mit bestimmten Putzhandlungen verknüpft. Dann reicht der Eintrag „Bad“ in meiner to-Do-Liste möglicherweise aus. Trotzdem ist selbst bei so ganz simplen to-Dos die Empfehlung, auch hier ein Verb anzufügen: „Bad putzen“. Wenn ich „Bad putzen“ lese, bin ich schon einen Schritt näher an der Ausführung der Handlung, als wenn ich nur „sauberes Bad“, d.h. das dahinter stehende Ziel, lesen würde. Und genau dieser Umstand wird bei Zeitplänen im größeren Maßstab aber oft weggelassen. Da steht dann nur: „Bis Ende des Monats soll der Theorieteil meiner wissenschaftlichen Arbeit fertig sein.“ Handlungsorientiert müsste die Formulierung besser lauten: „In diesem Monat schreibe ich an meinem Theorieteil“. Die letztere Formulierung fordert sofort dazu heraus, genauer zu spezifizieren: Schreibe ich jeden Tag? Oder nur ab und an? Oder nur immer dienstags? Das liegt daran, dass ich meinen Fokus vom Ergebnis „Fertiger Theorieteil“ auf die Handlung verschoben habe. Und eine Handlung hat, im Gegensatz zu einem Ergebnis, eine zeitliche Ausdehnung. Und darum muss ich sofort, sobald ich Handlungen plane, in Dauern denken. Und das ist gut, denn es verhindert Pläne, die völlig im Land Utopia angesiedelt sind.

Zum anderen scheitert die Umsetzung aber auch bei dieser Art von Plänen, bei der immerhin sorgfältig darauf geachtet wurde, Handlungen statt Ergebnisse zu planen. Und zwar scheitern diese Pläne immer dann, wenn die Handlungen keine Routinetätigkeiten sind. Nur bei Aufgaben, die ich schon oft ausgeführt habe, ist meine Zeiteinschätzung halbwegs realistisch (wenn man noch standardmäßig einen großzügigen Puffer drauf schlägt, weil wir trotz aller Erfahrung immer den günstigsten Fall zur Planung heranziehen und wahrscheinlich auftretende Verzögerungen nicht berücksichtigen). Aber bei Aufgaben, die wir noch nie zuvor ausgeführt haben, ist jede Zeiteinschätzung völlig willkürlich. Klar können wir sagen: „Die Analyse meiner Ergebnisse sollte in einer Woche abgeschlossen sein.“ Aber was, wenn wir währenddessen auf ein Problem stoßen, das wir zuerst lösen müssen, das uns aber einen ganzen Monat Zeit kostet? Woher hätten wir von der Existenz dieses Problems wissen sollen, wo die Aufgabe doch neu für uns war? Jetzt kannst du natürlich optimistisch sagen, dass bei dir mit solchen Problemen nicht zu rechnen ist. Aber woher willst du das wissen? Fazit: Unbekannte Aufgaben haben eine unbekannte Dauer, die sich auch beim besten Willen nicht schätzen lässt. Was den Versuch, bei unbekannten Aufgaben einen Zeitplan anzufertigen, absurd macht.

Zur Veranschaulichung noch eine Metapher: Stelle dir vor, du möchtest von A nach B reisen. Du kannst nun die Straßenkarte nehmen, malst ein Kreuz bei deinem aktuellen Standort A und markierst dein Ziel B. Die direkte Verbindung zwischen A und B ist natürlich meistens nicht befahrbar, also suchst du dir eine sinnvolle Verbindungsstrecke zwischen diesen beiden Punkten und machst dich dann auf den Weg. Das funktioniert. Jetzt stelle dir vor, dass zwischen A und B überhaupt keine Straßen eingezeichnet sind. Es handelt sich um unbesiedeltes Gebiet, in dem sich noch nie jemand einen Weg gebahnt hat. Du kennst auch Flüsse und Gebirge nicht, geschweige denn kleinere Hindernisse und Geländeformationen. Nur ein großer, weißer Fleck auf der Landkarte. Wie soll das nun funktionieren? Gar nicht, die Landkarte hilft hier nicht, es ist einfach das falsche Vorgehen. Das Prinzip Zeitplan funktioniert nicht in unbekanntem Terrain. Verdammt. Was nun?

Die Antwort ist so simpel wie genial: Wenn ich durch unbekanntes Terrain wandere, dann wähle ich immer den Weg, auf dem ich gerade meinem Ziel am schnellsten näher komme. Das muss nicht immer der leichteste sein! Ich könnte z.B. den Eindruck haben, dass das schwierige Klettern über einen Berg mich dem Ziel, auf die andere Seite zu kommen, deutlich schneller näher bringen wird, als um den gesamten Gebirgszug, evtl. viele hundert Kilometer, drum herum zu wandern. Das ist aber der Weg, der erstmal anstrengender sein wird! Zurück bei der (Büro-)Arbeit gilt das gleiche: Ich wähle nicht die angenehmste Aufgabe, sondern diejenige aus, von der ich glaube, dass sie mich meinem Ziel am schnellsten näher bringen wird. Nehmen wir mal die Fertigstellung einer wissenschaftlichen Arbeit als Ziel. Dann kann ich vom Ziel her denken und überlegen, ob ich bestehen würde, wenn ich meine Arbeit genau jetzt schon abgeben würde. Falls das nicht der Fall sein sollte, stelle ich mir die Frage: Mit der Arbeit an welcher Baustelle bringe ich die Arbeit am schnellsten in Richtung Bestehen? Wenn ich z.B. vor der Frage stehe, ob ich noch die paar Quellen einarbeiten sollte, oder lieber mit dem Ergebnisteil anfangen sollte, der noch komplett blank ist – dann wird mir die oben genannte Leitfrage sehr leicht zu der Erkenntnis verhelfen, dass ich die Arbeit vermutlich auch mit ein paar weniger Quellen bestehen werde, aber ohne Ergebnisteil nie und nimmer. Also arbeite ich zuerst an der Aufgabe, die den größten Sprung in Richtung Erfolg verspricht. Das heißt aber nicht, dass ich dann den Ergebnisteil bis ins kleinste Detail fertig mache. Sondern irgendwann kommt der Punkt, an dem eine andere Baustelle meiner Arbeit einen größeren Sprung in Richtung Bestehen verspricht, dann wechsle ich zu dieser Baustelle. Auf diese Weise ist sicher gestellt, dass ich vom Wichtigen zum Unwichtigen, vom Groben zum Feinen voranschreite und keine Zeit verliere mit Details, die am Ende nicht entscheidend sind. Dieses Vorgehen garantiert, dass ich meine verbleibende Zeit optimal nutze. Und darum garantiert dieses Vorgehen am ehesten, dass ich meine Deadline einhalten werde – sofern das in meiner Macht steht, denn der Tag hat nur 24h und unvorhergesehene Probleme sind ein Fakt, der, wenn er eintritt, sich von keinem Plan der Welt ungeschehen machen lassen kann – auch wenn der Plan noch so schön war… .

Damit dieses Vorgehen klappt, muss ich eine hohe Achtsamkeit auf das haben, was ich gerade tue. Wenn ich auf das Ergebnis schiele, das ich erreichen möchte, dann fällt mir möglicherweise gar nicht auf, dass ich schon längst zur nächsten wichtigen Baustelle hätte wechseln können – weil ich an einem vorher gefassten Plan festhalte, statt auf die Dynamik meiner Prioritäten zu achten. Der Fokus auf mein Tun, Prozessorientierung, erzeugt also die notwendige Achtsamkeit, die ich brauche, um mein Handeln an meinen Prioritäten auszurichten. Und so gehen Prozessorientierung und rechtzeitiges Fertigwerden Hand in Hand.

Es gibt keine schweren Aufgaben

Nicht per se. Keine Aufgabe ist leicht oder schwer. Wir finden sie nur leicht oder schwer. Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe ist nur eine Frage der Bewertung, er existiert nicht unabhängig von dem Menschen, der sie bewertet. Ohne Maßstab keine Schwierigkeit.

Beispiel: Eine Flasche Milch zu öffnen, ist eine leichte Aufgabe. Wirklich? Gib die Flasche mal einem einjährigen Kind… oder einer Person mit schlimmem Rheuma in den Fingergelenken… Die Flasche zu öffnen, ist leicht für all diejenigen, die die körperlichen und koordinativen Fähigkeiten dafür schon mitbringen. Und schwer für alle anderen.

Anderes Beispiel: Eine Dissertation zu schreiben, ist eine schwere Aufgabe. Wirklich? Für wen? Für denjenigen, der noch nie eine Dissertation geschrieben hat – vielleicht. Aber denk mal zurück: Wie schwer würde es dir heute fallen, wenn du deine erste Hausaufgabe/Hausarbeit/Seminararbeit/Abschlussarbeit etc. nochmals machen würdest? Leichter als damals, beim ersten Versuch? Also, wie schwer wäre deine Dissertation wohl für dich, wenn du sie, nachdem du Professor*in geworden bist, in 20 Jahren nochmals schreiben würdest – nach hundert anderen wissenschaftlichen Artikeln und fünf Monographien, die du in der Zwischenzeit geschrieben hast? Der Schwierigkeitsgrad, den du aktuell empfindest, existiert nur in deinem Kopf. Das wusste schon Seneca:

„Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht,
sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Also, wenn du das nächste Mal vor einer Aufgabe sitzt und Angst hast, dass du ihr nicht gewachsen bist: Das ist normal! Und es ist nicht real. Ob du der Aufgabe gewachsen bist oder nicht, bevor du damit beginnst – so what? Es ist normal, etwas nicht zu können, das man gerade zum ersten Mal macht. Deswegen ist die Aufgabe weder schwer noch leicht. Du weißt vielleicht nicht, wo der Weg lang führt und wie genau man die einzelnen Schritte ausführt. Das ist normal! Du wüsstest es, wenn du den Weg schon zig Mal begangen wärest. So wie dein täglicher Weg zur Arbeit/Uni… da überlegst du auch nicht mehr, wo du wie lang laufen musst. Und bei deiner Dissertation ist es genauso: Wenn du einen Schritt bereits hundert Mal ausgeführt hast, dann scheint dir dieser Schritt leicht – obwohl er noch genauso schwer oder leicht ist wie beim ersten Mal. An der Aufgabe hat ich nichts geändert – aber an deinen Routinen, deinen Fähigkeiten und darum deiner Einschätzung dieser Aufgabe. Wenn du also mal wieder vor einer Aufgabe stehst, die dir schwer scheint: Der empfundene Schwierigkeitsgrad ist nicht real! Eines Tages wirst du in jedem Fall diese Aufgabe mit Leichtigkeit meistern können – egal, wo du heute stehst. Fang an, irgendwo eine Bresche in den Dschungel zu schlagen. Ganz egal wo. Und wenn du nicht da rauskommst, wo du hin wolltest, dann gehst du nochmal zurück und fängst von vorne an. Und dann nochmal. Und nochmal. Und irgendwann ist es so leicht für dich, dass du gar nicht mehr über die „Schwierigkeit“ der Aufgabe nachdenkst…

Nie wieder Aufschieben in 3 einfachen Schritten

Das war der inoffizielle Titel einer Veranstaltung, die ich gestern zusammen mit einer Gruppe von Doktoranden am GraduateCenter der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt habe. Die Veranstaltung gliederte sich in zwei Teile: einen Vortrag und einen Übungsteil. Den Vortragsteil kannst du dir hier als Video ansehen:

Im anschließenden Übungsteil haben die Teilnehmer ihren ersten kleinen Gewohnheitsplan entwickelt und diskutiert. An alle Teilnehmer: Ich wäre sehr gespannt zu hören, wie die Umsetzung in den nächsten Wochen angelaufen ist! Schreib mir einfach eine kurze Nachricht!

Schriftliche Fassung des Vortrags

So überwindet man Prokrastination in drei einfachen Schritten

  • Schritt 1:
    Verinnerliche die Tatsache, dass Prokrastination nicht das Problem, sondern bereits die Lösung ist!
    Höre auf, deine Prokrastination als deine Schuld oder dein Versagen zu begreifen, sondern verstehe, dass Prokrastination eine natürliche Folge auf eine starke Ergebnisorientierung ist!
  • Schritt 2:
    Vergiss das Ergebnis!
    Verringere den Fokus auf das Ergebnis, indem du dich auf den Prozess des Arbeitens selbst, also auf die Ausführung der Tätigkeiten statt auf die Ergebnisse, die du durch diese Tätigkeiten erzielst, konzentrierst!
  • Schritt 3:
    Nimm dir 5 Minuten Zeit und gewinne die Kontrolle über dein Leben zurück!
    Steuere dein Leben durch Gewohnheiten! Dein Leben besteht aus den Tätigkeiten, mit denen du deine Zeit verbringst. Die meisten davon sind wiederkehrend. Wenn es dir gelingt, diese Gewohnheiten aktiv so zu formen, dass sie deiner Lebenszufriedenheit dienen, dann hast du den Königsweg zu mehr Zufriedenheit gefunden. Und als Bonus bekommst du das Gefühl (zurück), dein Leben selbst in der Hand zu haben.

Das war die Kurzversion. Für alle, die mehr wissen möchten, will ich die einzelnen Schritte nun ausführlicher erklären.

Schritt 1

Prokrastination heißt, eine geplante Handlung zu verschieben, obwohl man glaubt, durch dieses Verschieben auf lange Sicht schlechter dran zu sein. Das heißt, Prokrastination ist etwas enger definiert als der Begriff landläufig verwendet wird. Zur Abgrenzung zwei andere Produktivitätshindernisse: Wenn ich jede Menge arbeite, aber eigentlich gar nicht weiß, welche Ziele ich verfolgen soll und welche Wichtigkeit welches Ziel hat, dann habe ich ein Entscheidungsproblem, kein Prokrastinationsproblem. Wenn ich allerdings schon weiß, was wichtig ist und was nicht, aber nicht dazu komme, das Wichtige zu machen, dann habe ich womöglich ein Planungsproblem und kann lernen, besser zu planen. Das hier vorgestellte und im Kurs angewandte Konzept ist genau auf das Phänomen Prokrastination hin entwickelt worden. Zur Lösung der beiden anderen Probleme sind herkömmliche Angebote zum Selbst- und Zeitmanagement gut geeignet.

Ein alter Klassiker der Psychologie ist, das Verhalten und Erleben von Menschen durch eine Interaktion von Personen- und Umweltfaktoren zu erklären. Weder Person noch Umwelt ist je ausschließlich allein für das Zustandekommen irgendeiner menschlichen Regung verantwortlich. Das heißt im Arbeitskontext: Unser Erleben, wie z.B. unsere Stimmung, hängen zum einen davon ab, wie wir an unsere Arbeit herangehen, d.h. mit welcher Haltung wir arbeiten. Und zum anderen bestimmen die Eigenschaften der Aufgabe und die Rahmenbedingungen, also Umweltfaktoren, unsere Zufriedenheit.

Die meisten Menschen entwickeln in unserem Gesellschaftssystem eine starke Ergebnisorientierung. Gerade in der Schule ist nicht gefragt, wie ich die Lateinhausaufgabe finde oder welche Gefühle ich bei der Bearbeitung habe – es zählt allein, dass ich sie am nächsten Tag vorzeigen kann, wenn die Lehrerin danach fragt. Es geht darum, keinen Ärger zu bekommen, vielleicht gute Noten zu schreiben – aber mein persönliches Empfinden dabei ist irrelevant. Im Gegenteil, gerade diejenigen, denen es gelingt, unabhängig von ihrer eigenen Lust und Unlust jede Aufgabe zu bearbeiten, die von ihnen verlangt wird, schneiden in der Schule gut ab und studieren später. Das heißt, eine starke Ergebnisorientierung wird vom System belohnt. Später hängt es dann allein von der Aufgabe und anderen Umweltcharakteristika ab, wie eine ergebnisorientierte Person sich fühlt.

Nehmen wir nun an, eine solche ergebnisorientierte Person entschließt sich zu einer Aufgabe, die allerdings ein fernes, unklares und unkontrolliertes Ziel darstellt. Wie z.B. eine Promotion. Das Ziel ist fern, weil es erst nach Jahren erreicht sein wird – statt wie früher bei der Hausaufgabe in der Schule am nächsten Tag. Das Ziel ist unklar, weil ich mit einer Forschungsarbeit Neuland betrete, wo mir im Voraus keiner sagen kann, wann welcher Arbeitsschritt beendet sein wird und was genau überhaupt am Ende in der Abschlussarbeit drinzustehen hat. Das ist ja die Idee von Forschung: Was zu machen, was vor mir noch niemand genau so gemacht hat. Das Ziel wird außerdem nicht von außen sozial kontrolliert, d.h., es fragt mich niemand, schon gar nicht täglich, ob ich meine Hausaufgabe auch gemacht habe. Ist ja auch so gedacht, soll ja eine eigenständige Forschungsarbeit sein. Alles zusammen bedeutet aber, dass ich keine echten Erfolgserlebnisse haben werde, da ich ja nie weiß, ob ich jetzt mit einem Zwischenschritt fertig bin oder nicht, das eigentliche Ziel in weiter Ferne liegt und auch niemand von außen sagt, wie gut ich gerade abschneide. Meine Ergebnisorientierung braucht aber diese Erfolge. Darauf ist sie getrimmt. Und ohne Erfolg sinkt die Stimmung zwangsläufig ab. Das Problem ist, dass miese Stimmung mit einem Verlust von Handlungsfähigkeit einher geht. Ich bin dann wie gelähmt und unfähig, noch irgendeine Handlung zu initiieren. Antriebslosigkeit nennt der Psychologe das. Und das ist schlecht für mich.

Prokrastination bietet hier jetzt den perfekten Ausweg: Ich ersetze einfach diese Aufgabe, deren Ende fern, unklar und unkontrolliert ist, durch eine Aufgabe, die schnell und zuverlässig zu Erfolg und einem Gefühl der Befriedigung führt: Schnell Mails checken und beantworten – voilà, Aufgabe abgeschlossen! Ergebnisorientierung glücklich. Typisches Prokrastinationsverhalten bringt also die positive Stimmung zurück und hält mich handlungsfähig. Warum ist das gut? Weil ich weiterhin für Nahrung sorge („ach, ich könnte ja erst noch was essen“), meine Umgebung sauber halte („die Wohnung müsste auch mal wieder gesaugt werden“) oder meine Einbindung in eine soziale Gruppe pflege („was wohl meine Leute gerade so treiben? Schnell mal Whatsapp/Facebook/Snapchat/… checken“). Ich bleibe also am Leben. Aus einer evolutionären Perspektive ist es nämlich völlig irrelevant, ob ich mit meiner Promotion voran komme oder nicht. Wichtig ist, dass ich handlungsfähig bleibe, um mein tägliches Überleben zu sichern.

Bis hierhin ist hoffentlich klar geworden, dass Prokrastination kein Problem, sondern eine zwangsläufige und nützliche Reaktion auf eine starke Ergebnisorientierung in Kombination mit einem fernen, unklaren und extern unkontrollierten Ziel ist. Die Alternative zur Prokrastination würde Depression lauten.

Schritt 2

Wenn ich aber trotzdem keine Lust mehr auf mein Prokrastinationsverhalten habe, dann muss ich an mir selbst ansetzen, statt die Aufgabe auszutauschen. Was ich brauche, ist eine andere Arbeitshaltung. Diese habe ich Prozessorienterung getauft. Beschrieben wird die dahinter stehende Haltung aber schon seit Jahrtausenden von Weisheitslehrern aller Kulturen. Eine schöne Veranschaulichung bietet z.B. dieses Video:

(Mein Dank geht an einen früheren Kursteilnehmer, der dieses Video mit mir geteilt hat)

Die Grundidee von Alan Watts ist: „Das Leben ist wie ein Musikstück, zu dem getanzt wird. Es kommt nicht darauf an, mit welchem Ton die Musik endet oder an welcher Stelle im Raum sich die Tänzer dann befinden. Es kommt vielmehr auf den Tanz selbst an.“

Und die Lebensphase, in der du dich gerade befindest, ist Teil dieses Tanzes. Dein Leben startet nicht danach, wenn du deine Aufgabe abgeschlossen hast, denn direkt danach werden neue Aufgaben kommen und neue Ziele wollen erreicht werden. Dein Leben geschieht, während du versuchst, Ziele zu erreichen. Der Moment, wenn du ein Ziel erreicht hast, ist kurz. Extrem kurz. Die Freude über die Abgabe einer Dissertation währt vielleicht ein paar Tage. Maximal. Oder auch nur bis zur verpassten S-Bahn auf dem Heimweg vom Prüfungsamt… Diese Freude ist lächerlich im Vergleich zu den Jahren, die es gebraucht hat, die Arbeit zu erstellen. Gestalte daher dein Leben so, dass dieser Weg, diese Jahre attraktiv sind und dich zufrieden machen – nicht das Erreichen von Ergebnissen. Diese sind flüchtig – und zu allem Überfluss auch noch unkalkulierbar, d.h. es liegt meistens nicht (allein) in deiner Macht, was bei einer Handlung herauskommt. Versuche, von diesen Erfolgen unabhängig zu werden. Und das geht so:

Zuerst brauchst du ein tiefes Verständnis dafür, wie Ergebnisorientierung das Aufschieben von Aufgaben erzeugt. Vielleicht hast du das nach der bisherigen Lektüre jetzt schon erreicht – sehr gut!

Dann änderst du die Art, wie du deinen Tag planst. Plane Zeitslots statt Ergebnisse. Sage dir: Morgen Vormittag arbeite ich zwei Stunden an der Analyse statt zu sagen, morgen Vormittag schließe ich die Analyse ab. Denn was passiert, wenn du während der Analyse auf ein Problem triffst, das du nicht vorhersehen konntest? Prozessorientiert betrachtet hast du dein Ziel, den Vormittag mit der Analyse zu verbringen, trotzdem erreicht. Ergebnisorientiert ist es allerdings ein Misserfolg: Du hast die Analyse nicht abschließen können. Das allerdings lag von Anfang an nicht in deiner Hand! Also: Plane keine Ergebnisse, sondern reserviere Zeit für eine Aufgabe ohne zu erwarten, dass sie in dieser Zeit abgeschlossen sein muss.
Ein Schritt weiter gedacht bedeutet dies, gar nicht zu definieren, wie lange eine Beschäftigung dauern sollte, sondern direkt eine Handlung zu definieren. Z.B. so: „Morgen nach dem Aufstehen und einem kurzen Gang ins Bad starte ich meine Fitness-App und mache die Übungen, die mir da vorgeschlagen werden.“ Ob das 10 oder 20 Min dauert, kann dir bei dieser Art von Planung egal sein – der Erfolg ist dir sicher.
Da die meisten Aufgaben, die du  in deinem Alltag bearbeitest, vermutlich wiederkehrende Aufgaben sind, macht es Sinn, deren Bearbeitung gleich zu automatisieren und eine Gewohnheit daraus zu basteln, so dass du dir die ganze Planung gleich ganz schenken kannst und direkt zur Tat schreitest, ohne dich extra dazu motivieren zu müssen. Siehe Schritt 3.

Über diese Änderungen hinaus kannst du auch in deinem Leben als ganzes mehr Prozessorientierung trainieren. Gute Möglichkeiten sind regelmäßige Meditation, andere Achtsamkeitsübungen (google das bei Bedarf mal) oder das Führen eines Tagebuchs, in dem du dich auf das Erleben während deiner täglichen Aufgaben konzentrierst – statt auf die Ergebnisse, die dabei als Nebenprodukt angefallen sind.

Schritt 3

Nicht nur die in Schritt 2 beschriebenen Gewohnheiten sind hilfreich, um die Prozessorientierung zu stärken. Die Konzentration auf die Ausführung jeder beliebigen Gewohnheit hilft dabei, prozessorientierter zu werden. Wenn ich eine Gewohnheit einführe, dann will ich, dass bestimmte Tätigkeiten einen festen Platz in meinem Leben erhalten. Ich konzentriere mich ganz auf die Ausführung der Handlung – eventuelle Ergebnisse sind erstmal nebensächlich.
Gewohnheiten sind aus einem weiteren Grund nützlich: Ich spare Willenskraft. Ich habe nämlich jeden Tag nur begrenzt Lust, meine inneren Impulse zu steuern und zu unterdrücken, meine Emotionen zu regulieren und andere anstrengende Leistungen der Selbstdisziplin auszuführen. Irgendwann ist meine Motivation, mich zu kontrollieren, erschöpft. Also wäre es doch super effizient, wenn ich für all die Aufgaben, die sowieso regelmäßig wiederkehren, keine Willenskraft nutze, sondern diese Tätigkeiten soweit automatisiere, dass ich gar nicht darüber nachdenken muss, ob ich die jeweilige Aufgabe mache oder nicht. Ich mache die Handlungsausführung per Gewohnheit zum Selbstläufer. Und spare meine Willenskraft so für die unvorhergesehen Ereignisse auf, die mein persönliches Eingreifen und Nachsteuern erfordern.

So, das hört sich vermutlich jetzt ganz toll an. Einziges Problem: Erfahrungsgemäß klappt die Einführung neuer Gewohnheiten nicht. Das weiß jeder, der schon mal an Silvester einen guten Vorsatz für das neue Jahr gefasst hat… Aus meiner Sicht liegt das aber nicht daran, dass es so schwer wäre, neue Gewohnheiten einzuführen, sondern der Grund ist viel banaler: Das notwendige Wissen, wie das geht, wird nirgendwo vermittelt! Wir lernen zwar in der Schule 100 Details über den Zitronensäurezyklus, aber nichts darüber, wie wir uns selbst effektiv steuern können! Und darum gibt es nun diese Plattform hier…

Wie führt man erfolgreich eine neue Gewohnheit ein? Durch genaue Planung! Und zwar nicht so: „Ab morgen fange ich mit gesunder Ernährung an“ – das ist nur ein vager Vorsatz. Was wir brauchen ist eine Planung, die versucht, so viele Unterstützung wie möglich in das Vorhaben zu integrieren. Ziel der Planung ist, dass ich im Vorfeld das Gefühl habe, die Integration der neuen Gewohnheit in meine Leben wird ein Kinderspiel, ein Spaziergang. Nur wenn ich bereit wäre, mein gesamtes Vermögen darauf zu wetten, dass ich diese Gewohnheit durchhalten werde, dann weiß ich, dass die Planung so viel Unterstützung beinhaltet, dass ich tatsächlich hervorragende Chancen habe, dass es langfristig klappen wird. Ich mache mir also einen Plan, damit ich so wenig wie möglich Selbstdisziplin brauche, und es so leicht wie möglich wird.

Es gibt sehr viele Unterstützungsmöglichkeiten. Im Kurs benutzen wir eine Menge davon. Hier stelle ich nur diejenigen vor, die aus meiner Sicht absolut notwendig sind. Aus meiner Erfahrung muss jedes der folgenden Elemente genutzt werden – wenn nur ein Aspekt fehlt, wird die Einführung der Gewohnheit wahrscheinlich scheitern. Das sind die absoluten Essentials der Gewohnheitsänderung:

  1. Es fängt bei der Auswahl der Gewohnheit an: Ich muss dasjenige Verhalten als neue Gewohnheit auswählen, das mir einen möglichst großen Zufriedenheitsgewinn verspricht – direkt während der Ausführung! Nicht erst Wochen später, wenn die Gewohnheit irgendwelche Früchte zeigen soll. Wenn ich mich für eine Gewohnheit entscheide, die ich nur deswegen wähle, weil ich damit irgendwohin kommen möchte, dann wird meine Motivation vermutlich nicht reichen.
  2. Der erste Schritt in Richtung dieser neuen Gewohnheit sollte so klein wie möglich sein. Nur 5 Minuten. Nur 5 Sätze in der Masterarbeit. Nur 5 Liegestütze, etc. Denke daran, dass du den Schritt auch unter ungünstigen Bedingungen (außergewöhnliche Termine, mehr Müdigkeit als sonst, Hunger, Zeitdruck, etc.) ausführen können willst. Das bedeutet aber nicht, dass die neue Gewohnheit unwichtig ist. Lass alles in deinem Leben so, wie es gerade ist, auch wenn dir auch andere Dinge nicht gefallen, und konzentriere dich nur auf diese eine Veränderung in deinem Leben. Stell dir vor: Wenn du in diesem Monat diese eine Sache so änderst, dass sie fest etabliert ist, und im nächsten Monat die nächste Verhaltensänderung in Angriff nimmst und im dritten Monat die übernächste… dann wirst du innerhalb eines Jahres ein völlig anderes Leben führen. Aber du kannst diese Veränderung nicht jetzt sofort haben. Wenn du versuchst, alles gleichzeitig zu ändern, wirst du am Ende überhaupt nichts ändern und du bist in einem Jahr noch genau da, wo du heute bist.
  3. Damit es klappt, aus deiner neuen Verhaltensweise eine automatische Gewohnheit werden zu lassen, brauchst du einen klaren und zuverlässigen Auslösereiz. Einen Trigger, auf den die neue Verhaltensweise folgen soll. Günstig sind große Veränderungen deiner Umgebung (ins Büro kommen, das Zimmer wechseln, etc.) oder Routinen, die schon fest in deinem Leben verankert sind (Zähneputzen, Essen, Aufstehen, etc.).
  4. Für die Automatisierung ist außerdem wichtig, dass die Verhaltensweise klar definiert ist und der Handlungsablauf bis ins Detail hinein jedes Mal möglichst gleich ist. Dann checkt dein Gehirn viel schneller, was auf den Trigger folgen soll. Und du musst keine Entscheidungen mehr fällen – denn jede Entscheidung ist die Möglichkeit, dich doch für was anderes zu entscheiden. Entscheidungspunkte sind Abzweigungen in Richtung Prokrastination. Also eliminiere Entscheidungen aus deinem Ablauf.
  5. Du brauchst eine Dokumentation deiner Gewohnheitsausführung. Andernfalls wird es dir in einer Woche egal sein, ob du heute deine Gewohnheit ausführst oder nicht. Nur, wenn die Ausführung sichtbar wird, hast du einen Anreiz, eine ununterbrochene Kette von erfolgreicher Handlungsausführung zu erzeugen. Das schafft Verbindlichkeit. Es ist faszinierend, wie unglaublich motivierend eine simple Reihe von Kreuzen auf einem weißen Blatt mit Wochentagen sein kann! Habe das Motto: Don’t break the chain!
  6. Der vielleicht wichtigste Tipp ist: Du brauchst Erinnerungen! Der häufigste Grund, eine neue Gewohnheit nicht auszuführen, ist, im entscheidenden Moment nicht daran zu denken. Klar, am Anfang bist du so motiviert, deine neue Gewohnheit auszuführen, dass du denkst: Das vergesse ich eh nicht. Aber es wird der Tag kommen, da ruft jemand just im falschen Moment an und du vergisst darüber, dass du ja noch deine Kraftübungen machen wolltest… Die feste Absicht, sich in einem bestimmten Moment an etwas zu erinnern, ist übrigens völlig wirkungslos. Das einzige, was hilft, sind Erinnerungen im Außen: Ein Wecker, der im richtigen Moment klingelt, ein Post-it, das genau an der richtigen Stelle platziert ist, eine andere Person, die nachhakt. Habe so viele Erinnerungen wie möglich. Noch mehr. Pflastere deine Wohnung mit Post-its. Und sorge für möglichst unterschiedliche Arten von Erinnerungen, so dass eine Variante greift, wenn eine andere versagt.

Das wars. Mit diesen drei Schritten bist du einem zufriedenen Leben, in dem Prokrastination einfach überflüssig wird, ein gewaltiges Stück näher. Falls du dir Unterstützung bei der Umsetzung dieser Schritte wünscht, um das Gelingen noch ein deutliches Stück in Richtung 100%-Erfolgswahrscheinlichkeit zu verschieben, melde dich zu einem Kurs an oder direkt bei mir für eine persönliche Beratung.

Wie ich es geschafft habe, regelmäßig früher aufzustehen

Viele Menschen würden morgens gerne besser aus dem Bett kommen, früher mit der Arbeit oder dem Lernen beginnen oder morgens einfach Zeit haben, um noch etwas für sich tun zu können, wie z.B. endlich mal frühstücken statt hungrig in die Arbeit fahren oder Frühsport treiben oder meditieren. Falls das bei dir auch so ist: Dieser Post ist für dich!

Es scheint so leicht…

Einfach den Wecker früher stellen, direkt aufstehen, sobald er klingelt und gut. Denkste. Entweder diese Idee artet in einen Snooze-Marathon aus („ach, nur noch 5 Minuten…“), der dann zur neuen Gewohnheit wird, oder wir „überhören“ den Wecker gleich ganz. So oder so stehen wir nicht wirklich früher auf. Das ist kein persönliches Versagen, sondern ganz normal: Schlaf ist ein Grundbedürfnis. Und so wichtig, dass alle anderen Bedürfnisse zurückgestellt werden, um ausreichend Schlaf zu bekommen. Das führt uns direkt zu der ersten wichtigen Erkenntnis, dass man, um früher aufstehen zu können, zwangsläufig auch früher ins Bett gehen muss, wenn man nicht gegen ein Schlafdefizit ankämpfen möchte (was eher hoffnungslos ist). Früher ins Bett gehen – das ist der Punkt, wo die Herausforderung für die meisten erst beginnt…

Mein Leben lang bin ich zu spät ins Bett gegangen. Schon während der Schulzeit war das so. Nachts habe ich noch Hausaufgaben gemacht oder hatte einfach so keine Lust schon ins Bett zu gehen. Hatte oft das Gefühl, den Tag noch nicht genügend ausgereizt zu haben. Dazu kommt noch, dass mein Biorhythmus einfach wenig kompatibel mit den sozialen Strukturen in unserer Gesellschaft ist. Selbst heute, wo ich systematisch früher ins Bett gehe, verschiebt sich mein Rhythmus in Ferienzeiten innerhalb weniger Tage um ca. drei Stunden nach hinten. Abends kann ich ohne große Anstrengung lange wach bleiben, sogar noch arbeiten, wohingegen das Aufstehen immer eine Qual war. Frühestens eine Stunde nach dem Aufstehen konnte man überhaupt ordentlich mit mir reden… Ich erinnere mich daran, von Studien gelesen zu haben, die Schüler morgens, nach 8 Uhr, ins EEG-Labor gesteckt haben, um deren Gehirnwellen zu untersuchen. Es wurde festgestellt, dass sich das Gehirn der Schüler noch im REM-Schlaf-Modus (hohe Weckschwelle, intensive Träume) befindet. Und als Lehrer machst du dann Unterricht vor Leuten, die äußerlich wach sind, ihr Gehirn aber noch halb im Tiefschlaf festhängt…

Müdigkeit hat mich aber nie vom späten Ins-Bett-Gehen abgehalten. Stattdessen habe ich über die Woche hin immer mehr Schlafdefizit akkumuliert, um dann am Samstag bis Nachmittags zu schlafen. Lebensqualität unter der Woche sieht anders aus.

Als Student ist das leichter, da kann man manchmal auch einfach einen Tagesrhythmus nach der Art „Schlafen ab 3:00 morgens, Aufstehen irgendwann mittags“ haben. Eigentlich wäre mit so einem Tag-Nacht-Rhythmus alles gut, und aus biologischer Perspektive ist da auch überhaupt nichts einzuwenden. Wenn da nicht diese nervige soziale Umwelt wäre, die nicht aufhört, uns mit ihren Frühaufsteher-Terminen zu traktieren. Soziale Zeitgeber nennt die Forschung das. Zum Beispiel dieses eine wichtige Seminar, das um 08:00 morgens beginnt. Eine fast unschaffbare Aufgabe für einen Spät-ins-Bett-Geher, dort tatsächlich regelmäßig zu erscheinen…

Am Ende bleibt nur eine Lösung: Regelmäßig früher ins Bett gehen

Ein schöner Traum. Tausend vergebliche Vorsätze dieser Art habe ich schon gefasst, zigmal, nach einem katastrophalen, völlig übermüdeten Tag geschworen, dass ich ab jetzt früher ins Bett gehen werde. Aber im Grunde hatte ich keine Chance gegen meine Gewohnheiten und abendlichen Bedürfnisse…

Bis ich während der Entwicklung dieses Kurses herausgefunden habe, wie ich mit den hier vorgestellten Werkzeugen solche Dinge in meinem Leben ändern kann. Da viele Kursteilnehmer mit dem gleichen Problem kämpfen, will ich hier erzählen, wie es für mich geklappt hat. Seit einigen Monaten bekomme ich genug Schlaf UND stehe zu Uhrzeiten auf, die mit meiner Welt außerhalb meiner vier Wände kompatibel sind. Und das funktioniert wie folgt:

So klappt es bei mir

Meine Regel ist sehr simpel: Ab dem Abendessen (Essen selbst inklusive) darf ich keine elektronischen Medien mehr nutzen – kein TV, PC oder Smartphone mehr. Das war’s.

Die Umsetzung dieser einfachen Regel ist allerdings, aus verschiedenen Gründen, gar nicht so einfach. Darum braucht es Unterstützung. Das sind meine Tricks, wie ich mich dabei unterstütze:

Es fängt an mit der Planung der Routine selbst: Etwas nicht zu tun ist keine Gewohnheit, denn negatives Verhalten kann man nicht ausführen. Also muss ich mir überlegen, was ich tatsächlich nach dem Abendessen und bis zum Moment des Licht-aus-und-ins-Bett-Legens tun möchte. Da habe ich folgenden Plan: Küche aufräumen, mit dem Hund raus gehen und Zähne putzen. In variabler Reihenfolge, je nach Lust und Laune. Wenn ich alle drei Sachen gemacht habe und es immer noch vor 23 Uhr ist, dann mache ich noch andere Offline-Dinge. Aber erst, nachdem die Pflichtsachen schon abgehakt sind. Eine Ausnahme bilden direkte persönliche Gespräche mit anderen Menschen: Die sind mir mehr wert als die eine oder andere Minute Schlaf, darum dürfen die, quasi als Joker, den Schlafenszeitpunkt hinauszögern.

Super wichtig ist auch eine zuverlässig auftretende Situation, die als Auslösereiz für die neue Gewohnheit dienen kann. Bei mir ist das das Abendessen: Jeden Abend habe ich Hunger. Zuverlässig. Daher ist das Abendessen für mich der perfekte Anker, um meine neue Abendroutine daran anzuknüpfen.

Warum überhaupt eine Routine? Weil sich einfach das Ziel zu setzen, zu einem bestimmten Zeitpunkt im Bett zu liegen, nicht funktioniert. Auch, wenn man sich einen Wecker dafür stellen würde. Denn niemand geht auf Kommando ins Bett, die meisten Menschen haben noch eine ganze Routine, die davor ablaufen muss, und sei es nur kurz ins Bad zum Zähneputzen und Schlafanzug anziehen. Dann müsste man den Wecker also auf den Zu-Bett-geh-Zeitpunkt stellen minus die Zeit, die die Routine benötigt. Das bedeutet aber, dass du bereit sein musst, die Tätigkeit, die du gerade ausführst, z.B. einen spannenden Film zu sehen, sofort zu unterbrechen, sobald der Wecker klingelt. Das verlangt ziemlich unmenschliche Disziplin. Viel einfacher ist es, gar nicht erst mit etwas zu beginnen, das man nur ungern abbrechen möchte. Da das aber ein negativ formulierte Tätigkeit ist (etwas nicht zu tun), sind wir wieder bei oben schon erklärter Aufgabe zu definieren, was man stattdessen tun möchte. Und dann wähle ich doch gleich einen natürlichen Trigger, der das ganze auslösen soll, statt zu riskieren, dass mich der Wecker mitten in irgendetwas Interessantem unterbricht. Wenn es einen solchen Trigger bei dir aber nicht gibt, weil jeder Abend anders ist, dann ist der Wecker aber immerhin die zweitbeste Lösung.

Was mich auch ziemlich stark motiviert, ist eine geeignete Visualisierung meines Fortschritts. Das gab oft den Ausschlag in Momenten der Versuchung, wo ich kurz das Gefühl hatte „Argh, diese Sendung im Fernsehen würde ich jetzt aber wirklich gerne ansehen.“ Wenn ich dann immer daran dachte, dass es bedeuten würde, wenn ich mich jetzt vor den Fernseher setze, dass dann für immer und alle Zeit eine Lücke in meinem Kästchen-Schema klaffen würde, dann hat mich das motiviert, meinem Plan zu folgen und der Versuchung nicht nachzugeben. (Wobei ich gemerkt habe, dass das mit der Lücke in meiner Fortschrittsgrafik besser ist als eine Markierung mit Rotstift, die ich früher mal benutzt habe – das fühlt sich so nach Schule und Bestrafung an, was mehr Angst als Freude an der neuen Gewohnheit erzeugt.)

Auch auf der gedanklichen Ebene habe ich was zur Unterstützung unternommen: Ich habe mir genau aufgeschrieben, welche Vorteile das Früher-ins-Bett-Gehen im Detail hat. Und welche nachteiligen Effekte ein „ausnahmsweises“ Später-ins-Bett-Gehen. Auf diese Argumentation kann ich dann immer zurück greifen, wenn ich mit dem Gedanken gespielt habe, heute doch „mal eine Ausnahme zu machen“, weil XY gerade doch so interessant wäre oder es nicht schlimm wäre, wenn ich für YZ mal später ins Bett gehen würde. Für meine typischen Versuchungsgedanken habe ich sogar passende gedankliche Konter schriftlich festgehalten, wie z.B.: „Nein, du musst deine Mails heute Abend nicht mehr checken, auch wenn du glaubst, dass es dringend ist. In der Realität macht es für den Empfänger keinen Unterschied, ob er die Mail heute Abend oder am nächsten Vormittag erhält – er wird sie wahrscheinlich eh erst am nächsten Vormittag lesen.“

Bei früheren Versuchen, früher ins Bett zu gehen, habe ich immer mit einer fixen Uhrzeit gearbeitet. Ist ja auch erstmal naheliegend: „Immer um X Uhr im Bett liegen.“ Das hatte für mich zwei Nachteile:

  1. Die starre Regelung führt dazu, dass es viele Ausnahmen geben muss (abendliche Termine etc.). Das durchlöchert dann die Kontinuität bei der Gewohnheitsausführung, die aber so wichtig ist dafür, dass es in Fleisch und Blut übergeht.
  2. Die feste Uhrzeit ist ein Ziel, das ich dann den ganzen Abend über anvisiere. Das triggert die Zielorientierung enorm und macht ein prozessorientiertes Erleben des Abends schwer. Das aber ist ein wichtiges Bedürfnis gewesen: Den Abend zur Entspannung, zum Abschalten nutzen zu können, mal auf andere Gedanken kommen können – nicht noch bis zur letzten Minute ein Ziel anstreben.

Beide Gründe führten für mich dazu, dass ich die Gewohnheit mit der fixen Uhrzeit nicht über die Etablierungsphase hinaus fortgesetzt habe – weil sie meinen Bedürfnissen nicht optimal gerecht geworden ist.

Der vorangegangene Abschnitt kann auch als Warnung an alle Nachahmer verstanden werden: Versuche nicht, meine Gewohnheit 1:1 zu kopieren! Du hast höchst wahrscheinlich andere bestehende Gewohnheiten und andere Bedürfnisse und benötigst darum ein auf dich selbst maßgeschneidertes Konzept. Und das kannst du nur durch ausprobieren entwickeln. Vielleicht kann mein Gewohnheitsplan aber ein Startpunkt für dich sein, von dem aus du deine eigenen Anpassungen vornimmst.

Jetzt weißt du, was für mich funktioniert hat. Bisher. Es wird weitere Anpassungen geben, sobald sich meine Lebensumstände ein klein wenig ändern werden. Ich würde mich freuen, wenn du mich auch an deinen Erfahrungen teilhaben lässt. Schreibe dazu doch einfach einen Kommentar hier drunter!